Frage an Rainer Tabillion von Jörg D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Tabillion,
wie Sie vielleicht wissen, schwören Bundespräsident, -kanzler und -minister jeweils feierlich, sich für das Wohl der (deutschen) Bevölkerung einzusetzen, Schaden von ihr abzuwenden und deren Nutzen zu mehren. Laut Aussage des ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse habe dieser Eid jedoch keinerlei rechtliche Bedeutung und man könne nicht gegen Verletzungen juristisch vorgehen. Dies wird in der Kommentierung zum Grundgesetz (Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Artikel 56 Randnummern 4 und 10) gleichfalls erwähnt und damit begründet, dass „kein Bundespräsident (und übrigens auch kein Bundeskanzler und kein Bundesminister) so zynisch und so machtbesessen sein wird, dass es ihm im Augenblick des Amtsantritts ausschließlich um die Macht, das Ansehen oder die persönlichen Vorteile geht, die mit dem anzutretenden Amt verbunden sind."
In der Republik Ghana leistet der dortige Präsident einen inhaltlich ähnlichen Eid, jedoch mit dem Zusatz "sollte ich zu irgendeiner Zeit diesen Amtseid brechen, werde ich mich dem Gesetz der Republik von Ghana fügen und alle Strafen dafür erleiden."
Sollte diese Regelung Ihrer Meinung nach auch in Deutschland eingeführt werden? Wie sehen Sie persönlich das "Wohl des Volkes"? Ist es nicht ein demokratisches Bürgerrecht, sein Wohl selbst zu definieren? Bedarf es dazu nicht entsprechender Möglichkeiten, die z.B. durch ein sogenanntes "Bedingungsloses Grundeinkommen" gegeben wären, wie es vor kurzem in einer Petition an den Bundestag gefordert wurde?
Herzlichen Dank für Ihre Bemühungen um eine Antwort,
mit freundlichen Grüßen aus Kiew,
Jörg Drescher
1. Warum ich die Einführung einer Regelung, wonach ein Verstoß gegen den geleisteten Eid von Bundespräsidenten, Kanzlern und Ministern mit Strafe zu bewehren für nicht sinnvoll halte.
Der Eid, denn der Bundespräsident, die Kanzlerin oder die Minister leisten ist eine Absichtserklärung. Er ist nicht vergleichbar mit dem mit Strafe bewerten Meineid oder den anderen bei Gericht geschworenen Eiden. Um eine Strafbarkeit einzuführen, müsste man zunächst im Rahmen der Voraussetzungen der Strafbarkeit das Volkeswohl und die Verstöße dagegen definieren. Dies halte ich zwar für eine realisierbare Aufgabe. Aber zu jeder Strafbarkeit gehört auch eine schuldhafte Verletzung eines Gesetzes (Nulla poena sine culpa“), d. h. es muss nachgewiesen werden, dass der Handelnde z. B. vorsätzlich, also mit einem entsprechendem Willen gehandelt hat und das Ergebnis seines Handelns vorhergesehen hat. Aber wer weiß denn, welche heute für richtig gehaltene Entscheidung, unter den Entwicklungen der globalisierten Welt und unterschiedlichster Faktoren und Entwicklungen morgen noch eine solche ist. Dies erfordert fast salomonische Eigenschaften. Aus diesem Grund handelt jeder Politiker nach dem was er heute für richtig und gut im Sinne der gesamten Bevölkerung, für die er handelt, hält. Die Einführung einer Strafe wäre entweder ein stumpfes Schwert, weil schuldhafte Verstöße selten nachweisbar wären oder ein willkürliches Instrument, das dem Terror Tür und Tor öffnen würde.
2. Wie ich das „Volkeswohl“ sehe.
Volkeswohl ist für mich gesellschaftlicher Wohlstand als Voraussetzung für privates Glück. Dazu zählen z. B. Vollbeschäftigung verbunden mit guter Arbeit, Chancengleichheit, gute Bildungsmöglichkeiten und umfassendeTeilhabe am gesellschaftlichen Leben. Den Rahmen dafür und zugleich auch die gemeinschaftlichen Pflichten des Einzelnen stellt das Grundgesetz dar.
3. Ob es ein demokratisches Bürgerrecht ist, sein Wohl selbst zu definieren?
Ich stimme Ihnen zu, dass es ein demokratisches Recht ist sein Wohl selbst zu definieren, allerdings möchte ich hierzu zu denken geben, dass es sich dann aber schon rein begrifflich nicht um „das Volkeswohl“ handeln kann.
4. Zum Zusammenhang von Volkeswohl und Grundeinkommen.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist für mich keine Bedingung des Volkeswohls. Ich denke, dass sich unser System des primär durch Arbeit erzielten Einkommens in Verbindung mit solidarischen Sozialsystemen und angemessenen Transferleistungen bei Bedürftigkeit bewährt hat.