Frage an Rainer Spiering von Volker U. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
einem heutigen Beitrag der "WELT" online : "Union, SPD und Grüne offen für Verteuerungen von Fleisch", fordern Tierschützer eine Verteuerung von Fleisch, um dadurch die Nutztierhaltung zu verbessern. Sie sprechen sich in diesem Beitrag ebenso dafür aus und fordern eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 7% auf 19% auf Fleisch. Darf ich mir in diesem Zusammenhang die Frage erlauben, warum Sie, wenn Ihnen soviel am Tierwohl liegt (was ich sehr begrüßenswert finde!), am 29.11.2018 f ü r die Fortführung der betäubungslosen Ferkelkastration gestimmt hatten?
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
V. U.
Sehr geehrter Herr U.,
zunächst einmal vielen Dank für ihre Frage bezüglich meiner Haltung zum Tierschutz.
So wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion habe auch ich mir damals die Entscheidung, die Gesetzesänderung mitzutragen, nicht leicht gemacht. Denn Tierschutz ist für mich als Agrarpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ein unverzichtbarer Bestandteil verantwortungsvoller Ernährungs-, Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik und der pflegliche Umgang mit Tieren ist eine ethische Verpflichtung. Genau deshalb hat der Tierschutz unter unserer Regierungsverantwortung im Jahr 2002 Verfassungsrang bekommen.
Unser Ziel ist eine artgerechte Tierhaltung, die Schmerz- und Stressrisiken für die Tiere ausschließt. Im damaligen parlamentarischen Willensbildungsprozess wurde jedoch deutlich, dass es keine Alternative gab, die die gegenwärtige Praxis der betäubungslosen Kastration von Ferkeln flächendeckend in Deutschland hätte ablösen können. Ohne die beschlossene Fristverlängerung, wäre zu befürchten gewesen, dass es in Deutschland zu massiven Strukturbrüchen bei den deutschen Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme. Mit der Folge, dass wir es zu verantworten hätten, wenn mehrere Millionen Ferkel, die ebenfalls nicht nach deutschen Tierschutzstandards kastriert werden würden, über mehr als tausend Kilometer aus Ost- und Nordeuropa nach Deutschland transportiert werden. Dies kann, insbesondere unter Tierschutzaspekten, nicht die Lösung sein.
Deshalb habe ich der Verlängerung der Übergangsfrist damals zugestimmt. Dies haben wir in der SPD allerdings auch nur unter der Voraussetzung getan, dass die nächsten zwei Jahre nicht erneut ungenutzt verstreichen. Dementsprechend enthält der Gesetzentwurf detaillierte und verbindliche Vorgaben an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. So wird es für Ferkelzüchter Unterstützung bei der Einführung der neuen Betäubungsmethode geben sowie ein Förderprogramm bei der Anschaffung der Narkosegeräte, um vor allem kleine und mittlere Betriebe zu unterstützen. Das Landwirtschaftsministerium hat bereits die notwendige Verordnung über die Sachkunde und die Anwendung von alternativen Methoden zur Ferkelkastration auf den Weg gebracht. Die Verordnung die in diesem Jahr noch in Kraft treten soll, ermöglicht, Landwirtinnen und Landwirten sowie sachkundigen Personen nach Abschluss eines Sachkundennachweises, die Isofluran-Narkose eigenständig durchzuführen.
Zudem konnten wir in den damaligen Verhandlungen weitere wichtige Verbesserungen für den Tierschutz aushandeln. So haben wir die Bundesregierung in einem Entschließungsantrag dazu aufgefordert, endlich die dringen nötige Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei Lösungen für nicht-kurative Eingriffe, wie das Kürzen von Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, vorzulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell wie möglich zu beenden. Allerdings scheint dem Ministerium der Wille hierzu zu fehlen. Trotz des klaren Auftrages aus dem Koalitionsvertrag hat das BMEL es bisher versäumt, eine kohärente nationale Nutztierstrategie zu entwickeln und vorzulegen. Dabei benötigt Deutschland einen langfristigen Fahrplan, der die künftige Entwicklung der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung beschreibt. Hier bleiben wir weiter dran und treten dem Landwirtschaftsministerium auf die Füße.
Ich finde es richtig, dass sich in den vergangenen Jahren ein gesellschaftlicher Diskurs für Mehr Tierschutz in allen Bereichen der Tierhaltung entwickelt hat und Themen wie die Haltung und die Pflege von Tieren, aber auch der Konsum von tierischen Produkten zu zentralen Themen in der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung geworden sind. Damit gewinnt auch die Verbesserung des Tierschutzes in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung zunehmend an Bedeutung. Das ist meiner Meinung nach sehr wünschenswert und es ist zu begrüßen, wenn alle für mehr Tierwohl und Klimaschutz plädieren und sich auch aktiv dafür einsetzen. Wie viele Bürgerinnen und Bürger, bin auch ich der Meinung, dass die Landwirtschaft einen größeren Beitrag für mehr Umwelt- und Klimaschutz, für eine gesellschaftlich akzeptierte Tierhaltung und die Stärkung ländlicher Räume leisten muss. Uns sollte dabei aber auch bewusst sein, dass dies nicht zum Nulltarif zu haben sein wird. Unsere Lebensmittel müssen uns wieder einen angemessenen Preis wert sein, der die heute nicht enthaltenen externen Kosten, zum Beispiel zum Ausgleich von Klimaschäden, angemessen einbezieht und die produzierenden Landwirte angemessen bezahlt. Das Motto muss ‚Klasse statt Masse‘ werden. Eine Fleischsteuer, der Einfachheit halber über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 %, wäre ein möglicher Weg, der sich allerdings hauptsächlich auf die Konsumenten bezieht. Im Gegenzug könnte der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent auf öffentliche Nahverkehrsmittel gelegt werden und so die Verbraucher/-innen entlastet werden. Warum wird beispielsweise Wasser und Babynahrung mit 19 Prozent MwSt. belastet, aber dagegen Gänseleber oder Hundekekse nur mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent? Hier könnte auch ein Hebel zum Umsteuern angelegt werden. Unter dem Strich würde sich die Steuerbelastung der Verbraucher/-innen nicht erhöhen. Die Idee auf Fleischprodukte nicht mehr den begünstigten Mehrwertsteuersatz von derzeit 7 Prozent zu erheben, sondern den regulären Steuersatz von 19 Prozent ist nicht neu. Allerdings sollte sie auch nicht als Allheilmittel gesehen werden. Es sind alle Beteiligten entlang der gesamten Wertschöpfungskette und hierbei vor allem die Fleischproduzenten und der Lebensmitteleinzelhandel aufgefordert ihren Beitrag für eine nachhaltige Nutztierhaltung zu leisten.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Spiering, MdB