Frage an Rainer Brüderle von Hildegard P. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Brüderle,
zum Thema Zwangsbehandlung in der Psychiatrie habe ich eine Frage, ist es Ihrer Kollegin Frau Leutheusser - Schnarrenberger bewusst, das Sie mit dem Gesetzesvorschlag, Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie wieder zuzulassen, direkt gegen geltendes Recht verstößt ? Ich weise auf die Artikel 14,15 und 17 der UN-Behindertenrechtskonvention hin.
mit freundlichen Grüssen
Hildegard Poesch
Sehr geehrte Frau Poesch,
vielen Dank für Ihre Frage zur sog. Zwangsbehandlung in der Psychiatrie.
Für die FDP-Bundestagsfraktion hat das Recht auf Freiheit einen herausgehobenen Stellenwert. Das Recht auf selbstbestimmte Entscheidungen jedes einzelnen steht im Mittelpunkt aller Überlegungen. Es ist Ausdruck der Selbstbestimmung jedes Bürgers, sich mit freiem Willen gegen eine ärztliche Behandlung zu entscheiden. Dieses liberale Leitbild setzt jedoch die Fähigkeit zur freien Willensbildung voraus. Ist diese freie Willensbildung krankheitsbedingt nicht mehr möglich, ist der Staat unter sehr engen Voraussetzungen aufgerufen und berechtigt, den Betroffenen vor sich selbst in Schutz zu nehmen.
Ärztliche Zwangsmaßnahmen dürfen wegen des mit ihnen verbundenen erheblichen Grundrechtseingriffs daher nur das letzte Mittel sein. Insbesondere in Situationen drohender erheblicher Selbstgefährdung ist eine ärztliche Zwangsmaßnahme jedoch in Betracht zu ziehen. Ein solcher Eingriff in die Freiheitsausübung bedarf in jedem Fall einer gesetzlichen Regelung. Diese gesetzliche Regelung wurde bisher in § 1906 BGB gesehen. Mit Verweis auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug hat der Bundesgerichtshof (BGH) seine bisherige Rechtsprechung jedoch aufgegeben und entschieden, dass die bisherige Regelung nicht ausreichend sei. Wie der BGH in seiner Entscheidung aber ebenfalls selbst ausführt, kann das Fehlen von Zwangsbefugnissen zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen dazu führen, dass ein Betroffener ohne eine solche Behandlung einen erheblichen Schaden erleidet. So kann beispielsweise die aktuelle Krankheitsperiode im Fall der Nichtbehandlung einen schweren und längeren Verlauf nehmen.
Diese Überlegungen führen dazu, dass eine neue gesetzliche Grundlage notwendig ist. Im Rahmen des Betreuungsrechts stellt sich die Situation so dar, dass der Betreuer die Einwilligung in eine erforderliche medizinische Behandlung geben kann. Auch der Betroffene, der auf Grund seiner Krankheit die Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann, kann aber zum Ausdruck bringen, dass er eine Behandlung, in die sein Betreuer eingewilligt hat, gleichwohl nicht dulden möchte. Diesen natürlichen Willen des Betroffenen können weder der Betreuer und erst recht nicht der Arzt alleine umgehen. Die ärztliche Zwangsmaßnahme steht nach dem Gesetzentwurf vielmehr unter folgenden Voraussetzungen:
- Die Maßnahme muss zum Wohle des Betreuten erforderlich sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden.
- Der erhebliche gesundheitliche Schaden kann durch keine andere zumutbare Maßnahme abgewendet werden.
- Der Nutzen der Maßnahme überwiegt die Beeinträchtigungen deutlich.
- Um jeglichen Missbrauch auszuschließen, bedarf die ärztliche Zwangsmaßnahme nach dem Gesetzentwurf der Zustimmung eines unabhängigen Richters.
- Der Betreuer darf in die ärztliche Zwangsmaßnahme nur einwilligen, wenn zuvor versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der Maßnahme zu überzeugen.
- Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers stets erforderlich.
- Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung soll der Sachverständige nicht der zwangsbehandelnde Arzt sein. Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder deren Anordnung mit einer Gesamtdauer von mehr als zwölf Wochen soll das Gericht keinen Sachverständigen bestellen, der den Betroffenen bisher behandelt oder begutachtet hat oder in der Einrichtung tätig ist, in der der Betroffene untergebracht ist.
Diese strengen materiellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen des Gesetzentwurfes sollen damit die Selbstbestimmung des Betreuten stärken. Die vorgeschlagene Neuregelung wird dazu beitragen, die gerichtliche Praxis auf eine rechtsstaatliche Grundlage zu stellen und stärker zu vereinheitlichen. Dies schafft für alle Beteiligten mehr Transparenz und Rechtssicherheit. Einen Verstoß gegen die UN-Behindertenkonvention sehen wir auch nach Auswertung der Sachverständigenanhörung des Rechtsauschusses nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Brüderle