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Frage von Heinz-J. Prof. Dr. S. •

Frage an Rainer Brüderle von Heinz-J. Prof. Dr. S. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Minister Brüderle,

überzeigen Sie mich, dass das Szenario des FAZ-Kommentars - auszugsweise unten - nicht zutriftt. Sagen Sie mir, warum ausgerechnet die FDP bei diesem gefährlichen Unsinn mitmacht.

Danke vorab. Ihr HJ SCHMITT

FAZ online vom 30.6.2012 (letzte Absätze):

Es wird schiefgehen
Die Moral der Geschichte: Wenn schon in einem Bundesstaat mit Durchgriffsrechten wie in Deutschland die Balance der Solidarität nicht funktioniert, um wie viel weniger wahrscheinlich ist die Erfüllung des Versprechens in Europa. Bremen mag für Deutschland verkraftbar sein. An der Rettung Südeuropas werden wir uns überlupfen. Wer will glauben, dass europäische Institutionen härter auf souveräne Staaten durchgreifen werden, als dies dem Bund beim (nicht souveränen) Bremen gelang.
Am Ende wird in Europa das Rettungsgeld in Strömen fließen, aber niemand wird die Macht haben, seine Verwendung zu kontrollieren und Missbrauch zu sanktionieren. Gerade deshalb sollte niemand auf das Zentralisierungsversprechen der Deutschen hereinfallen („erst Fiskal-, dann Schuldenunion“). Da sind die Südländer ehrlicher, die freimütig bekennen, dass sie von Reformauflagen und Souveränitätsverzicht nichts halten.
Die Wirtschaftshistoriker sagen uns, dass Zentralstaaten mit einheitlicher Währung nur dann funktionieren, wenn das No-Bailout-Gebot strikt eingehalten wird (wie in der Schweiz und, mit Einschränkungen, in den Vereinigten Staaten). Europa aber will eine Haftungs- und Transferunion. Das wird schiefgehen. Deutsche Politiker sollten aufhören, uns Sand in die Augen zu streuen.

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Professor Schmitt,

vielen Dank für Ihre Frage.

Die FDP-Bundestagsfraktion verfolgt eine Politik, die sowohl auf Europäischen Zusammenhalt als auch auf Solidität, Eigenverantwortung und Prinzipien der Marktwirtschaft setzt. Mit dem Gesetzes-Paket zur Ratifizierung eines Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie dem Fiskalvertrag errichtet die christlich-liberale Koalition zwei zentrale Säulen einer neuen Stabilitätsarchitektur für Europa.

Der ESM ist ein Instrument, welches durch seine am konkreten Einzelfall angepassten Eingriffsmöglichkeiten sowie eine hohe Marktakzeptanz maßgeblich zur Stabilisierung der Eurozone beitragen wird. Fiskal-Vertrag und ESM bilden zwei Seiten einer Medaille ab. Beide Verträge zusammen sollen sowohl kurzfristig als auch langfristig zu finanzpolitischer Stabilität in der Eurozone führen. Langfristig soll gewährleistet sein, dass es in Zukunft nur noch tragfähige Staatshaushalte in der Eurozone geben wird.

Beide Verträge sind deshalb auch als Einheit zu betrachten. Staaten, die den Fiskalvertrag nicht umsetzen, sollen keine neuen Hilfsprogramme bekommen. Deshalb hat die Koalition stets darauf bestanden, dass in Deutschland beide Verträge gemeinsam ratifiziert werden. Dieses Ziel haben die Koalitionsfraktionen entgegen vielfältiger Verzögerungs- und Abspaltungsversuche der Opposition insbesondere auch in dem Bewusstsein vorangetrieben, dass dem deutschen Vorgehen Modellcharakter in Europa zukommt und von der ganzen Eurozone sehr genau beobachtet wird.

Mit dem Fiskalvertrag errichten wir verbindliche Regelungen zur Erreichung fiskalpolitischer Solidität. Sie ist die Basis, von der aus das Vertrauen in unsere Gemeinschaftswährung wieder wachsen kann. Wesentliche Regelung des Fiskalvertrages ist die Verpflichtung aller unterzeichnenden Staaten, eine Schuldenbremse in ihre nationalen Rechtsordnungen zu implementieren. Die Umsetzung der Vorgaben für innerstaatliche Schuldenbremsen wird durch ein sanktionsbewehrtes Klageverfahren beim EuGH sichergestellt. Darüber hinaus werden zukünftig Verfahren im Falle eines übermäßigen Defizits quasi automatisiert eingeleitet und durchgeführt. Mitgliedstaaten, die sich in einem Defizitverfahren befinden, müssen ein Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramm mit konkreten Struktur-reformen auflegen, das von Rat und Europäischer Kommission genehmigt und überwacht wird.

Mit dem ESM setzen wir auf der anderen Seite ein deutliches Signal für Stabilität und Kontinuität innerhalb Europas. Der ESM gewährleistet, dass sich die temporäre Schwäche einzelner Staaten nicht zu einem Flächenbrand in der gesamten Eurozone ausweitet. Auch der ESM fußt seinerseits auf dem Grundsatz, dass Solidarität nur bei entsprechender fiskalpolitischer Solidität gewährt werden kann. Leistungen des ESM werden daher nur in Konditionalität zu einem die Ursachen der fiskalpolitischen Schwäche des entsprechenden Mitgliedstaates beseitigenden Anpassungsprogramm gewährt. Die christlich-liberale Bundesregierung konnte auch beim Gipfel der Eurogruppe am 28./29 Juni 2012 erneut mit Erfolg ein Aufweichen dieser Konditionalität durch interessierte Mitgliedstaaten verhindern.

Alle wesentlichen Entscheidungen, die der ESM treffen kann, einschließlich der Gewährung von Finanzhilfen oder Änderungen am Ausleihvolumen und Stammkapital, müssen einstimmig durch die Finanzminister des Euro-Währungsgebiets getroffen werden, womit Deutschland jederzeit ein Vetorecht zukommt.

Mit dem ESM-Finanzierungsgesetz haben wir dieses Vetorecht dem Deutschen Bundestag übertragen, indem dem Abstimmungsverhalten des deutschen Vertreters im Gouverneursrat ein umfangreicher Parlamentsvorbehalt vorgeschaltet wurde. Dieser umfangreiche Parlamentsvorbehalt geht auf Initiative und Drängen der FDP-Bundestagsfraktion zurück.

Mit freundlichen Grüßen
Rainer Brüderle