Frage an Rainer Brüderle von Traudl H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Brüderle,
wenn Ihre Motivation zur Arbeit in der FDP daher kommt, dass Sie sich für die Kleineren einsetzen möchten, dann wäre es doch auch sehr gut, wenn Sie für Strukturen in den Handwerkskammern einträten, die demokratischer sind, als gegenwärtig.
Das – wie die Bundesregierung in diesem Sommer auf eine Anfrage angab – seit 1953 in allen 52 Handwerkskammern zusammen, bis auf 3 (!) Ausnahmen lediglich sogenannte FRIEDENSWAHLEN zustande kamen, sollte geändert werden, oder? Damit dann endlich die wirklich die kleineren Betriebe und Interessensgruppen Raum in den Gremien der Handwerkskammern bekommen.
Das wäre doch ganz im Sinne Ihrer am Vorlesetag gemachten Äusserungen. Bitte schreiben Sie hier einmal, wie Sie dies sehen.
Sehr geehrte Frau Hopp,
vielen Dank für Ihre Zuschrift.
Die Vollversammlung der Handwerkskammer als deren oberstes Beschlussorgan wird durch Listen in allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl gewählt (§ 95 Absatz 1 Handwerksordnung). Das Erfordernis der Einreichung kompletter Listen (§ 8 Anlage C zur Handwerksordnung) soll garantieren, dass die Zusammensetzung die wirtschaftlichen Besonderheiten und die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Gewerbe im Kammerbezirk berücksichtigt (§ 93 Absatz 2 Satz 3 der Handwerksordnung).
Durch die Novellierung der Handwerksordnung in 2003 wurde die Erstellung eines Wahlvorschlags erleichtert. Es kann aber dennoch in der Praxis dazu kommen, dass nur ein Wahlvorschlag für die jeweiligen Gruppen eingereicht und zugelassen wird. Für diesen Fall wurde die Regelung des § 20 Anlage C zur Handwerksordnung geschaffen. Als Regelfall geht die für die Handwerkskammern in Anlage C zur Handwerksordnung erlassene Wahlordnung aber von der Zulassung von mehreren Wahlvorschlägen und der Durchführung einer Briefwahl aus.
Für diese Art der Abstimmung, allgemein als Friedenswahl bezeichnet, sprechen Gründe der Praktikabilität, die Besonderheiten der Selbstverwaltung und das leider oft zu geringe Interesse der Kammermitglieder an einer Wahl.
Nach gängiger Auffassung verstößt § 20 Anlage C zur Handwerksordnung nicht gegen übergeordnetes Verfassungsrecht, da die Wahlrechtsgrundsätze der Artikel 28 und 38 GG unmittelbar nur für politische Abstimmungen gelten und außerhalb der politischen Wahlen eingeschränkt werden können. Bei den Handwerkskammern handelt es sich um Einrichtungen der funktionalen Selbstverwaltung, bei der die Sachaufgaben (§§ 90 Absatz 1, 91 Absatz 1 Handwerksordnung) im Vordergrund stehen. Daher hat auch die neuere Rechtsprechung § 20 Anlage C zur Handwerksordnung als verfassungsgemäß angesehen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Mai 2001, 14 S 1238/00, GewArch 2001, 422 (429)).
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Wahl nicht dadurch undemokratisch wird, dass bei nur einem Listenvorschlag keine Wahlen im technischen Sinne abgehalten werden. Es steht jedem Wahlberechtigten frei, einen eigenen Wahlvorschlag einzubringen. Die Handwerkskammern sind durch eine Friedenswahl demokratisch legitimiert. Hinzu kommt eine demokratisch legitimierte Landesregierung, unter deren Rechts- und teilweise Fachaufsicht die Handwerkskammer steht.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Brüderle