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Frage von Benjamin K. •

Frage an Rainer Brüderle von Benjamin K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Brüderle,

nehmen Sie bitte Stellung zu den Zensurplänen im Internet der gegenwärtigen Bundesregierung.

Unterstützen Sie die Pläne, zur Bekämpfung der Kinderpornografie wegzusehen (Stoppschilder) anstatt die Hinterleute zu ermitteln und vor Gericht zu bringen?

Würden Sie bei einer künftigen Regierungsbeteiligung Zensurmaßnahmen rückgängig machen und statt dessen effektivere Wege zu verfolgen, die in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz stehen?

Welche Schritte wären nach Ihrer Meinung dazu geeignet?

Vielen Dank.

Portrait von Rainer Brüderle
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Koppe,
vielen Dank für Ihre Frage zu den Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der
Kinderpornographie.
Kinderpornographie muß effektiv bekämpft werden. Sie ist ein schreckliches Verbrechen, der vorangegangene Mißbrauch hinterläßt unheilbare Wunden an Seele und Körper der mißbrauchten Kinder.
Notwendig ist die konsequente Verfolgung von Kindesmißbrauch und Kinderpornographie. Die Erfolge der Ermittlungsbehörden in Bund und Ländern in diesem Bereich müssen fortgesetzt werden. Insbesondere ist für ausreichende personelle und sächliche Mittel, gerade bei der ITAusstattung, bei Polizei und Staatsanwaltschaften, die richtigerweise sehr sensibel auf Anzeigen und Erkenntnisse in diesem Bereich reagieren, zu sorgen. Zudem müssen wir die Prävention verbessern. Hier sind Eltern, Schulen, Kindergärten, Ärzte und Jugendämter ebenso gefordert wie die Gesellschaft insgesamt. Eine Kultur des Wegschauens darf es nicht geben, sondern jeder, der Hinweise auf Kindesmißbrauch hat, muß ermutigt werden, dies auch zur Anzeige zu bringen.
Den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes, nach dem die Zugangsprovider dazu verpflichtet werden sollen, Internetseiten nach Vorgabe einer Sperrliste des Bundeskriminalamts durch Umleitung auf eine Stopp-Seite zu sperren, lehnt die FDP-Bundestagsfraktion ab.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Straftaten, die im oder mittels des Internets begangen werden, müssen konsequent verfolgt werden. Zugleich müssen sich staatliche Maßnahmen an den geltenden rechtsstaatlichen Vorgaben messen lassen.
Schon die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Gefahrenabwehr bei der Verbreitung von Kinderpornographie ist zweifelhaft. Gefahrenabwehr obliegt den Ländern, die in diesem Bereich hervorragende Arbeit leisten. Auch die Regulierung von Medieninhalten liegt in der Zuständigkeit der Länder, wohingegen der Bund nur für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Telemedien zuständig ist. Insoweit stellt sich die Frage, ob der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf verfassungsgemäß ist.
Der Gesetzentwurf wirft darüber hinaus verfassungsrechtliche Fragen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit auf. Von den geplanten Sperrungen können auch legale Internetseiten erfaßt sein, wie die Bundesregierung selbst einräumt. Daher muß sehr sorgfältig geprüft werden, ob die vorgeschlagene Maßnahme verhältnismäßig ist.
Betroffen von der Sperrung von Internetseiten sind die Telekommunikationsfreiheit, die Informations- und Meinungsfreiheit sowie die allgemeine Handlungsfreiheit. Selbstverständlich schützen die Grundrechte nicht rechtswidriges Verhalten. Das Verbreiten und das Sich- Beschaffen wie auch schon der Besitz von Kinderpornographie sind strafbar.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß mit den geplanten Sperrungen durch die Manipulation in den sog. Domain-Name-Servern (DNS), die dazu dienen, eine vom Nutzer eingegebene Internetadresse in die zugehörigen numerischen IP-Adressen aufzulösen, die gesperrten Seiten nach wie vor zugänglich sind, wenn z.B. ein anderer DNS verwendet oder aber die IPAdresse direkt eingegeben wird. Nicht erfaßt werden sog. Peer-to-Peer-Netzwerke, da diese nicht in den Domain-Name-Servern verzeichnet sind. Insoweit wird ein für die Begehung von Straftaten im Bereich der Kinderpornographie wesentlicher Verbreitungsweg schon von vornherein nicht erfaßt. Schließlich wechseln die Server nach Angabe des BKA häufig, teilweise nach nur wenigen Stunden. Sperrlisten, die binnen sechs Stunden wirksam werden müssen, verfehlen dann aber ihr Ziel.
Die Bundesregierung hält die Maßnahme für erforderlich, weil ein strafrechtliches Vorgehen gegen die Betreiber ausländischer Server schwierig bis unmöglich sei. Nach Erkenntnissen aus anderen Ländern befindet sich die weit überwiegende Zahl der Server in den Vereinigten Staaten, die übrigen sogar vielfach in Europa. Hier ist Rechtshilfe regelmäßig möglich und auch erfolgversprechend.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat das Vorgehen der Bundesregierung kritisiert, die Provider durch Verträge mit dem BKA zu Sperrungen zu verpflichten, da Grundrechtseingriffe stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird aber unter keinem Gesichtspunkt den Anforderungen an eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage gerecht. So fehlen in dem Gesetzentwurf Vorgaben für ein rechtsstaatliches Verfahren oder für klare Haftungsregelungen der Provider. Auch die Ausweitung der Befugnisse des BKA im Bereich der Gefahrenabwehr lehnen wir ab.
Die FDP-Bundestagsfraktion wird das nun anstehende parlamentarische Verfahren dazu nutzen, ihre Bedenken sachlich und kritisch vorzutragen, um eine ernsthafte Debatte anzustoßen. Es verbietet sich nach Ansicht der FDP-Bundestagsfraktion, das Thema in die eine oder andere Richtung zu instrumentalisieren.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Brüderle