Frage an Petra Pau von Hans-Rudolf R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr verehrte Frau Pau,
mich regt schon seit längerem der Begriff "Fraktionszwang" auf.
Wenn durch die Partei, im Rahmen des Fraktionszwanges, ein so erheblicher Druck auf Abgeordnete ausgeübt werden kann, dass sogar schon mit einem Parteiausschlußverfahren gedroht wird, wenn man nicht im Sinne der Fraktion abstimmt, so ist das meiner Ansicht nach gegen das Grundgesetz. Wo bleibt denn da die Unabhängigkeit der Abgeordneten ?
Im Umkehrschluß kann ich dann auch ketzerisch behaupten - wir sparen uns den Bundestag und lassen nur die Fraktionsvorsitzenden abstimmen. Dies würde uns - dem Volk - viel Geld sparen.
Ist der Fraktionszwang grundgesetzwidrig ?
Mich würde Ihre Meinung dazu interessieren.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Rudolf Reinecke, Dipl.-Ing.
Sehr geehrter Hans-Rudolf Reinecke,
Ganz grundsätzlich kann ich Ihnen ganz kurz antworten: DIE LINKE lehnt Fraktionszwang ab, eben, weil Fraktionszwang die Souveränität frei gewählter Abgeordneter untergräbt.
Abgeordnete sind in ihren Entscheidungen frei, nur ihrem Gewissen verpflichtet. So weit die Theorie, die Praxis sieht anders aus. Ich habe erlebt, wie zum Beispiel Abgeordnete der SPD in die Fraktions-Mangel genommen wurden.
Und als Gesine Lötzsch und ich 2002 bis 2005 als Einzelabgeordnete für die Linke im Bundestag waren, da wurden uns elementare Rechte mit der Begründung verwehrt, wir seien ja keine Fraktion.
Gleichwohl ist die Antwort auf Ihre Frage nicht ganz so leicht, wie Sie vielleicht erhoffen. Es kann durchaus Situationen geben, bei denen die Rechte einer Fraktion nicht a priori zurück stehen können.
Ein aktuelles Beispiel haben wir gerade in Hessen erlebt. SPD, Grüne und DIE LINKE hätten nach der Landtagswahl eine knappe Mehrheit bilden und die CDU-Regierung ablösen können.
Das scheiterte bekanntlich an dem angekündigten Veto einer SPD- Abgeordneten. Sie wehrte sich aus Gewissengründen gegen ein Bündnis mit der Linksfraktion. Das ist ihr gutes Recht.
Allerdings hatte das zugleich zur Folge, dass sie allein damit den ebenso freien Willen von ca. 50 anderen Abgeordneten blockierte, ein gemeinsames Bündnis einzugehen. Das wiederum ist ein realer Konflikt.
Demokratisch auflösbar ist er aus meiner Sicht nur, wenn – um bei diesem Beispiel zu bleiben – ein SPD-Landesparteitag einen Mehrheitsbeschluss herbeiführt: Bündnis ja oder Bündnis nein.
An diesen Mehrheitsbeschluss müssten sich dann auch die gewählten Abgeordneten halten. Ich kenne solche Konflikte übrigens auch aus meiner Partei. Sie werden erst relevant, wenn es um Regierungsbündnisse geht.
Und sie bekommen nur dann eine Bedeutung, wenn es sich um grundsätzliche Fragen handelt, die auch zu Neuwahlen führen können. In solchen Situationen sollten einzelne Abgeordnete daher den Rat ihrer Partei suchen.
Das aber wäre etwas anderes, als die Zwangs-Order eines Fraktionsvorsitzenden. Es wäre ein demokratisches Verfahren, das auch für Wählerinnen und Wähler transparent und damit nachvollziehbar wäre.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Pau
z. Zt. im Allgäu
28. 07. 2008