Frage an Petra Pau von Björn G. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Pau,
als Student älteren Semesters (nicht jeder fängt mit 18 an), bin ich aus der studentischen Krankenversicherung (GKV) aus Altersgründen herausgefallen. Da sich meine KV erst nach 6 Monaten meldete und mich als freiwillig Versicherten betrachtete ("freiwillig" wird hier aber sehr gedehnt...), sind dort nun Gebühren aufgelaufen, die mit sage und schreibe 5% pro Monat verzinst werden. Das sind ganze 60% Zinssatz p.a., die dort vom Staat über den Weg der KV angesetzt werden. (§24 SGB IV)
Frage: Wenn per diverser Gerichtsurteil Zinsen von 12 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz schon als Wucher gelten und damit für nichtig erklärt werden, wie kann dann der Staat mit 60% Zinsen dies als rechtmäßig und verfassungskonform ansehen?
Der Basiszinssatz liegt bekanntlich zur Zeit bei 0,12 %...
Nun habe ich nur die Möglichkeit als Student, mich "freiwillig" gesetzlich zu versichern, wobei man mir unterstellt ich würde 850,- verdienen - dies wäre prinzipiell ja nicht schlecht, aber es wird keineswegs begründet. Der sich daraus erreichnende Beitrag ist eine zusätzliche Belastung, die nicht nur "freiwillig" versicherte (ältere) Studenten betrifft, sondern ebenfalls arbeitslos gewordene Selbständige und weitere Personengruppen, die dieses Einkommen eben nicht besitzen. Nun hat man die Wahl zwischen einem möglichst schnellen Studium mit Unterstützung der Eltern oder der Bildungsweg wird verzögert, damit man noch Geld für Wohnen/Essen/Kleidung/Krankenversicherung hat.
Frage: Ist dies die Form von Sozialpolitik und auch Bildungspolitik (lebenslanges Lernen, Durchlässigkeit im Bildungswesen, Hochschulen auch als Weiterbildungsstandorte, zweiter Bildungsweg,...), die dieses Land voranbringen soll und die einzige Ressource dieses Landes "Wissen" fördern soll? Sind Ihnen Bestrebungen in der Politik bekannt, die eine realistische Betrachtung des Einzelfalles anstreben bzw. die (Weiter)Bildung an dieser Stelle nicht behindern?
Mit freundlichen Grüßen
Björn Glienke
Sehr geehrter Herr Glienke,
ich möchte mich für Ihre Anfrage bedanken. Vorweg muss ich Ihnen jedoch mitteilen, dass ich mit dieser Thematik nicht vertraut bin und mich deshalb bei meinem fachkompetenten Fraktionskollegen Harald Weinberg diesbezüglich informiert habe. Bei dem von Ihnen geschildertem Problem geht es demnach um zweierlei:
1. Der Säumniszuschlag: Bis zur Einführung der Versicherungspflicht am 1. April 2007 betrug der Säumniszuschlag nur 1% im Monat. Damals war das Druckmittel der Kassen, die notwendigen Beiträge einzutreiben, der Rausschmiss aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach der damaligen Gesetzeslage wären Sie heute kein Mitglied der Gesetzlichen Krankenversicherung mehr und könnten auch nicht ohne weiteres mehr eintreten. Da heute eine Krankenkasse ihren säumigen Mitgliedern nicht mehr kündigen darf, braucht sie zur Durchsetzung der Beitragsansprüche andere Druckmittel. Dafür wurde der Säumniszuschlag auf das von ihnen genannte Niveau erhöht. Ich kann durchaus verstehen, dass man dies als unverschämt hoch bewertet, zumal wenn man das selbst zahlen muss. Ob Ihre Krankenkasse sich hier möglicherweise zu spät gemeldet hat, so dass dies in Ihrem Einzelfall anders zu bewerten ist, kann ich nicht beurteilen. Ich empfehle Ihnen: Rufen Sie hierzu bei der Unabhängigen Patientenberatung unter 0800/0117722 kostenfrei an, damit Sie rechtlich beraten werden.
2. Die freiwillige Versicherung: DIE LINKE verfolgt das Konzept einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Wir wollen, dass jeder und jede entsprechend des tatsächlichen Einkommens zur Finanzierung der Krankenversicherung herangezogen wird. Durch die konsequente Einbeziehung der heute privat Krankenversicherten, der Streichung der Beitragsbemessungs- und Pflichtversichertengrenze sowie die Beitragsbemessung auf alle Einkommensarten, kann der Beitragssatz auf etwa 10 Prozent statt heute 14,9 Prozent sinken - bei gleichzeitigem Wegfall aller Zuzahlungen einschließlich der Praxisgebühr. Was die Gruppe derjenigen angeht, die hauptsächlich selbständig tätig sind, wird es bei einer Mindestbeitragsbemessung - also einem angenommenen Mindesteinkommen bleiben müssen, das wir allerdings auf 850 Euro, also 85 Euro monatlicher Beitrag senken wollen. Zum Vergleich: Heute zahlen Selbständige schlimmstenfalls auf 1916,25 Euro Beiträge, also knapp 285,52 Euro im Monat.
Abschließend möchte ich Sie darauf hinweisen, dass es Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht gestattet ist, Rechtsberatungen durchzuführen. Meine Antwort spiegelt lediglich meine politische Einschätzung der Problematik wieder.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Pau