Peter-Rudolf Zotl
DIE LINKE
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Frage von Renate H. •

Frage an Peter-Rudolf Zotl von Renate H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Zotl,
am 9. September fand auf dem Prerower Platz eine Wahlkampfveranstaltung mit den Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion im Deutschen Bundestag statt. Das Mitglied des Abgeordnetenhauses Gregor Hoffmann, Kandidat seiner Partei im Wahlkreis 2, hatte sich offensichtlich persönlich auf diese Veranstaltung "auf ganz besondere Art" vorbereitet. Mit jungen Wahlhelfern aus anderen Bundesländern und sogar Kindern, denen die CDU bzw. Junge Union offensichtlich unmittelbar vor der Veranstaltung Pfeifen in die Hand gedrückt hatte, führte Herr Hoffmann persönlich ein Pfeifkonzert an, das erst verstummte, als Gregor Gysi seine Rede beendete. Dazu brüllte Hoffmann jun. noch ohne Pause "Tolerant, tolerant ..." Das Recht, diese Veranstaltung zu stören, nehme sich die CDU, so wurde mir auf Nachfrage gesagt, aus dem Fakt, dass auch die Linkspartei.PDS Veranstaltungen der CDU auf diese Weise störe. Viele, die die Rede von Gysi hören wollten, haben Herrn Hoffmann und auch anderen CDU-Mitgliedern gegenüber ihren Unmut kundgetan. Auch ich bin der Auffassung, dass die politische Auseinandersetzung zwischen demokratischen Parteien mit Argumenten und nicht mit Pfeifen geführt werden sollte. Und das gilt für CDU-Aktivisten genauso wie für die der Linkspartei.PDS.
Wie beurteilen Sie, dass der Direktkandidat der CDU im Wahlkreis 1, Mitglied des obersten Berliner Verfassungsorgans, eine solche Störaktion anführte und damit die Bürger in erheblichem Maße daran hinderte, die Argumente einer demokratischen Partei zur Kenntnis zu nehmen?
Mit freundlichen Grüßen
Renate Harcke

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Harcke,

am 9. September war auch ich am Wahlkampfstand der Linkspartei.PDS auf dem Prerower Platz, habe Gregor Gysi begrüßt und die gesamte Pfeifaktion der Jung-CDU miterlebt. Ich finde, dass Gregor Gysi und wir alle die Situation souverän gemeistert haben: Gregor Gysi hat die jungen Leute aufgefordert, doch ihre Sachargumente vorzutragen, und das wollten (oder konnten) sie nicht. Sie pfiffen weiter, aber es hat dann fast niemand mehr von dem (bzw. den) Pfeifen Notiz genommen, zumal die Versuche einiger besonnener Bürgerinnen und Bürger, die Störer zur sachlichen Auseinandersetzung zu bewegen, scheiterten. Und da ich vorn - direkt hinter Gregor Gysi - stand, konnte ich sehr gut beobachten, wie viele Passantinnen und Passanten vom Verhalten der jungen christlichen Demokraten angewidert waren und zum Teil extra deshalb stehen blieben, um Gysi zuzuhören. Insofern haben die Trillerpfeifen das Gegenteil von dem bewirkt, was sie wollten: Wir haben nicht weniger, sondern mehr Aufmerksamkeit erhalten, Gysi wurde nicht kaum, sondern sehr gut verstanden (weil die Leute etwas dichter herangekommen sind und auch weil der brave CDU-Nachwuchs nicht geübt hatte, die Puste richtig einzuteilen), und ich habe während der Veranstaltung und danach keinen gehört, der nun die CDU wählen will, wohl aber so manche, die eine solche Wahlentscheidung für sich persönlich jetzt endgültig ausschlossen.

Aber Sie fragen ja konkret, was ich von einer solchen Form der Wahlkampfauseinandersetzung halte. Und da ist meine Auffassung eindeutig: Nichts. Zur Demokratie gehört als Elementarwert, dass man seine Meinung - sofern sie nicht mit verfassungsfeindlichem Gedankengut korrespondiert - frei und unbehindert äußern kann, und der Demokratie diametral entgegengesetzt ist, die Meinungsäußerungen anderer unterdrücken zu wollen. Ich selbst habe noch nie - nicht einmal in Zeiten erbitterter und hoch emotionalisierter Auseinandersetzungen - in einer demokratischen politischen Debatte jemanden niedergeschrien oder -gepfiffen oder nicht zu Worte kommen lassen. Gerade Wahlkampfauseinandersetzungen zwischen demokratischen Parteien sollten immer mit Argumenten geführt werden, und das beginnt damit, dass man dem anderen zuhört. Denn es kann nicht darum gehen, des anderen Wort zu verhindern, sondern nur, andere mit den besseren Argumenten zu überbieten. Das schulden wir den Bürgerinnen und Bürgern, die genau das - nämlich Argumente - erwarten und von denen bekanntlich auch jetzt noch nicht wenige zweifeln, ob sie überhaupt zur Wahl gehen sollen. Wer sich aber so daneben benimmt wie die CDU, stärkt die Politikverdrossenheit, den Unmut über die Politiker sowie die ohnehin nicht unbeträchtliche Gruppe der Nichtwählerinnen und Nichtwähler. Auch wenn ich das Argument, das Pfeifkonzert der CDU sei eine Retourkutsche für das Verhalten junger Linker beim CDU-Wahlkampfauftakt auf dem Breitscheidplatz, stark bezweifele, sage ich eindeutig: Das oben Gesagte zur politischen Kultur demokratischer Auseinandersetzung gilt gleichermaßen für alle am Wahlkampf Beteiligten, da teile ich vollkommen Ihre Position, .

Allerdings muss man zum Argumentieren auch Argumente haben, und daran hapert es bei der CDU erheblich. Deren Vorwürfe gegenüber Rot-Rot blenden völlig das schlimme Erbe aus, das die CDU-geführten Landesregierungen dem jetzigen Senat und der jetzigen Regierungskoalition überlassen hatten und das in der extremen Haushaltskrise Berlins gipfelt. Auch das Wahlprogramm der CDU ist voller Versprechen, für deren Erfüllung - wie das renommierte Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin festgestellt hat - ein Mehrfaches des jetzigen Landeshaushaltes erforderlich wäre. Zur faktischen Reinwaschung von der eigenen Verantwortung kommt also das indirekte Bekenntnis, es wieder so machen zu wollen wie einst die Diepgensenate. Zu dieser programmatischen Fehlleistung der CDU Berlin passt es schon irgendwie, andere und vor allem sachliche Positionen nieder zu pfeifen, oder?

Sehr geehrte Frau Harcke, Sie haben mich noch gefragt, was ich davon halte, dass Gregor Hoffmann (Mitglied der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus und mein Gegenkandidat um das Direktmandat im Wahlkreis 2) einer der offensichtlichen Drahtzieher der Störaktion vom 9. September war. In Kürze: Wenn ich es nicht selbst beobachtet hätte, würde ich es nicht glauben. Natürlich kann jeder pfeifen statt zu argumentieren, auch wenn ich es - siehe oben - völlig unmöglich finde. Aber ein Abgeordneter - so finde ich - darf sich solche Rüpeleien nicht leisten. Das schadet nicht nur ihm, sondern das schadet dem Ansehen des Parlaments, des Parlamentarismus und der Demokratie insgesamt. Vielleicht ist Gregor Hoffmann verzweifelt, dass die Wahlforschung von meinem und nicht von seinem Gewinn des Wahlkreises ausgeht, aber auch das rechtfertigt keinerlei pöbelhaftes Verhalten. Das werde ich dem Kollegen Hoffmann bei unserem nächsten gemeinsamen Wahlkampftermin auch persönlich sagen, denn vielleicht weiß er es einfach nicht ...

Mit freundlichen Grüßen

Peter-Rudolf Zotl