Frage an Peter-Rudolf Zotl von Marion B. bezüglich Finanzen
Initiative für einen geschlechtergerechten
Haushalt in Berlin (www.gender-budgets.de )
Sehr geehrter Herr Zotl,
zu Gender Budgeting:
Seit 2002 wird Gender Budgeting in Berlin als Instrument des Gender Mainstreamings in der Finanzpolitik eingeführt. Bisher stand die Nutzenanalyse im Vordergrund. Seit 2005 sind alle Berliner Bezirke und Hauptsenatsverwaltungen mit einer qualifizierten und ausgeweiteten Analyse befasst. Die Ergebnisse werden im Haushaltsaufstellungsverfahren integriert ausgewiesen.
Die Gender Budget Analyse soll bald nicht nur nachträglich zur Überprüfung der finanzpolitischen Effektivität für Geschlechtergerechtigkeit genutzt werden, sondern zielgerichtete Umsteuerungen in der Haushaltsaufstellung möglich machen.
• Wie werden Sie diesen Prozess unterstützen?
• Welche Ausweitung des Prozesses würde Ihre Arbeit erleichtern?
• Können Sie sich in diesem Prozess mehr Bürger- und Bürgerinnenbeteiligung vorstellen? Wie würden Sie diese organisieren?
Zu Wirtschaft & Arbeit:
• Werden Sie die Wirtschaftsförderung als Instrument nutzen, um Geschlechtergerechtigkeit zu fördern? Welche Maßnahmen oder Budgetneuansätze haben Sie dazu geplant?
• Durch welche geschlechtsspezifischen Maßnahmen wollen Sie die Ausbildungs-, Arbeitsmarkt- und Berufschancen von Frauen und Männern, sowie Menschen mit Migrationshintergrund und aus Minderheiten verbessern?
• Durch welche Maßnahmen wollen Sie die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit verbessern?
• Wie wollen Sie den unterschiedlichen Wirkungen von Hartz I – IV auf Frauen und Männer (Migranten/-innen) begegnen und eine diskriminierungsfreie Verteilung der Arbeitsmarktmittel und Maßnahmen sicherstellen?
• Wie werden Sie Art. 13 des Landesgleichstellungsgesetzes umsetzen und ergänzen, um Frauen in der Privatwirtschaft gleichzustellen?
• Wo siedeln Sie das Ressort Gleichstellung & wo die Federführung Gender Mainstreaming an?
Anette Cordes, Inken Giza, Marion Böker
Sehr geehrte Frau Cordes, sehr geehrte Frau Giza, sehr geehrte Frau Böker,
ein geschlechtergerechter Haushalt für Berlin – um Ihren ersten thematischen Block aufzugrei-fen – ist ein wichtiges Anliegen, das ich unterstütze und für dessen Einführung ich mich intensiv engagiert habe. Der Zugang zum gender budgeting ist für mich, dass es – nicht nur, aber beson-ders in Zeiten knapper Kassen – sehr wichtig ist, mit dem Einsatz der öffentlichen Mittel einen möglichst hohen Effekt zu erzielen. Da ist die Frage, wie differenziert öffentliche Leistungen in Anspruch genommen werden, eine entscheidende analytische Grundlage für die Verteilung der Haushaltsmittel, und die Grundfrage differenzierter Inanspruchnahme ist die Geschlechterdifferenziertheit. Es ist nun einmal eine unbestrittene Tatsache, dass Männer und Frauen das öffentliche Leistungsangebot – und zwar auf nahezu allen Gebieten – differenziert in Anspruch nehmen und auch sehr differenzierte Bedürfnisse entwickeln. Insofern teile ich völlig den von Ihnen vertretenen Standpunkt, dass sich das in einer Haushalts-Aufstellungs-Umsteuerung deutlich niederschlagen muss. Gender mainstreaming und gender budgeting sind demzufolge nicht irgendwelche Extras, sondern grundsätzliche Bestandteile einer modernen Haushalts- und Verwaltungspolitik bzw. -reform.
Ich habe als Sprecher für Verwaltungsreform und als Vorsitzender des entsprechenden Par-lamentsausschusses selbst mehrere Veranstaltungen zur Propagierung dieses Ansatzes or-ganisiert und auch eine Broschüre herausgegeben, in der die Frauenbeauftragte des Landes Bremen diesen Ansatz speziell auf den Alltag der Verwaltungspolitik „herunterbricht“. In den Kommunalpolitischen Leitlinien der Linkspartei.PDS – beschlossen im Dezember 2005 auf einem Bundesparteitag und unter meiner Leitung erarbeitet – spielen gender mainstreaming und gender budgeting eine zentrale Rolle, und im Frühjahr dieses Jahres war diese Problematik auf unsere Initiative hin sowie in unserer Verantwortung Hauptgegenstand einer kommunalpolitischen Beratung aller Linkspartei-Landtagsfraktionen, unserer Bundesar-beitsgemeinschaft „Kommunalpolitik“ sowie der Kommunalpolitischen Foren der Länder.
In unserer Regierungsverantwortung haben wir in der von uns geführten Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen eine zentrale Koordinierungsstelle eingerichtet und in zehn Bezirken – lediglich zwei CDU-geführte Bezirke machen nicht mit – Pilotprojekte zum gender mainstreaming und gender budgeting eingerichtet. Wie Sie richtig anmerken, wird in Berlin – zunächst als Kontrollinstrument, jetzt aber mehr und mehr als gestaltungspolitische Leitlinie – eine geschlechterdifferenzierte Haushaltskontrolle und –aufstellung praktiziert. Dass diese viel versprechenden Anfänge weiter untermauert und verstetigt werden und dass das im Zusammenwirken von Politik, Verwaltung, gesellschaftlichen Kräften und allen Betroffenen erfolgt – dafür werde ich mich einsetzen.
Erleichternd wirken würde, wenn die Geschlechterdifferenzierung nicht immer wieder politisch und zuweilen auch juristisch hinterfragt und behindert werden würde. Deshalb habe ich vorge-schlagen, in der kommenden Legislaturperiode die Rechts- und Verordnungslage im Sinne eines zielorientierten gender mainstreamings und gender budegetings eindeutig und „wasserdicht“ zu machen und auch die Landeshaushaltsordnung in diesem Sinne durchzusehen.
Natürlich kann ich mir gut vorstellen, dass in diesem Prozess ein hohes Maß an Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung stattfindet. Insofern trete ich – auch in Auswertung der ersten Erfah-rungen mit bezirklichen Bürgerhaushalten in Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf – dafür ein, beide Prozesse eng miteinander zu verknüpfen, weil so trotz knapper Haushaltsmittel ein hoher Grad an Bedarfsgerechtigkeit der Haushalte hergestellt werden kann.
In Ihrem zweiten Themenblock geht es um Geschlechtergerechtigkeit im Zusammenhang mit Wirtschaft und Arbeit. Im Rahmen der rot-roten Wirtschaftsförderung bilden bereits Projekte von Existenzgründerinnen einen Schwerpunkt. Zugute kam uns, dass wir die Frauenpolitik und Ge-schlechtergerechtigkeit mit der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in einem Ressort gebündelt haben. Kommt es zu einer Neuauflage unserer Regierungsmitarbeit, dann wird die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit mit Sicherheit im Rahmen der Wirtschaftsförderung weiter aus-gebaut werden.
Wie Sie wissen, vertritt meine Partei hinsichtlich der Ausbildungschancen die Forderung einer Ausbildungsplatzabgabe. Unternehmen, die sich aus nicht einsichtigen Gründen einer Ausbil-dung verweigern, müssen zahlen und zwar kräftig. Für benachteiligte junge Menschen sowie für Menschen mit Migrationshintergrund und aus Minderheiten trete ich für die Beibehaltung und den Ausbau von Sonderprogrammen (z.B. geförderte Verbundsysteme) ein. Ich stehe auch einer Änderung des Steuersystems offen gegenüber: Betriebe, die in Ausbildungs- und Arbeitsplätze investieren, sollen dafür steuerlich belohnt werden. Betriebe, die sich dem verweigern, müssten einen weitaus höheren Steuersatz zahlen. Und weil man heute häufig besonders hohe Gewinne durch modernste Technik und mit wenig Arbeitskräften erzielt, sollte mehr der Gewinn als die Beschäftigtenanzahl besteuert werden. Aus diesen Mitteln könnten u.a. Hilfs- und Sonderwege finanziert werden.
Was die Hartz-Gesetze betrifft: Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass diese weg müssen, weil sie sich gegen die Arbeitslosen und damit gegen die falschen „Ursachen“ von Mas-senarbeitslosigkeit richten. Doch solange diese Gesetze gelten, muss man sich damit befassen, die negativen Auswirkungen zugunsten der Betroffenen zu verhindern bzw. abzumildern. Dazu gehört vor allem, dass – wie es uns in Berlin gelungen ist – die diskriminierende Überwachung und vorauseilende Verdächtigung von Langzeitarbeitslosen sowie Massenumzüge verhindert werden. Wir haben auch Sonderprogramme aufgelegt, wo Frauen, die nicht anspruchsberechtigt sind, eine Förderung erfahren können. Wenn auch noch nicht in ausreichendem Maße, so wurde auch der Frauenanteil in den hervorgehobenen öffentlichen Funktionen deutlich erhöht. Und: Wir wollen die diversen Mittel, die zur Alimentierung von Arbeitslosigkeit (bei Hartz IV) zur Verfügung stehen, bündeln und über einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor feste Arbeitsplätze mit existenzsichernden Auskommen schaffen, der auch nach besonderer Bedarfslage in Anspruch genommen werden kann. Dafür müsste die Bundesregierung jedoch einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor zustimmen. Auf jeden Fall wollen wir in der nächsten Legislaturperiode im Rahmen unserer beschränkten landespolitischen Möglichkeiten zeigen, dass und wie es geht.
Wir leben in einem Land, in dem der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ leider nicht gilt. Das betrifft sowohl die Ost-West-Problematik als auch generell die niedrigere Bezahlung von Frauen bei gleichen Tätigkeiten. Deshalb gehöre ich zu denen, die scharfe und sanktionsbelas-tete Kontrollen ebenso fordern wie die Stärkung der Gewerkschaften, die Beibehaltung von Flächentarifen und einen erweiterten Kündigungsschutz für Frauen.
Wir haben – ich erwähnte es bereits – die Federführung für Gleichstellung und gender mainstreaming in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen angesiedelt und einen eigenen Staatssekretärinbereich dafür geschaffen. Da gehört es hin, weil Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Gleichstellung ganz wesentlich von der wirtschaftlichen und arbeits-marktpolitischen Lage für Frauen abhängen. Die von konservativer Seite angestrebte Anlage-rung der Frauenpolitik im Bereich der Familienpolitik zielt nach unserer Auffassung deshalb am Problem vorbei. Unser fester Wille ist, dass die von uns gewählte Zuordnung auch so bleiben soll.
Mit freundlichen Grüßen
Peter-Rudolf Zotl