Frage an Peter-Rudolf Zotl von Peter L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Zotl,
Wie schätzen sie die Gefahr des Einzugs der NPD in die Parlamente ein und sehen sie in der Absenkung des Wahlalters einen möglichen Grund für den Einzug der NPD in einzelne Kommunalparlamente ? Was tun sie gegen einen möglichen Einzug der NPD ?
Mit freundlichen Grüßen
Peter Lorenz
Sehr geehrter Herr Lorenz,
natürlich hoffe ich - wie Sie offensichtlich auch - , dass es die NPD nicht schafft, in das Berliner Abgeordnetenhaus sowie in die Bezirksparlamente einzuziehen. Auch wenn ich natürlich weiß, dass die NPD ihre antidemokratischen Ziele unter Ausnutzung und Missbrauch der demokratischen Möglichkeiten unserer Gesellschaft erreichen will, bin ich jedoch der festen Überzeugung, dass diese demokratischen Möglichkeiten unserer Gesellschaft deshalb nicht eingegrenzt werden dürfen. In dem Sinne betrachte ich auch eine Verschärfung des Wahlrechtes - z.B. die Wiedereinführung des 18. Lebensjahres als Mindestalter - als kein geeignetes Mittel, um diese Auseinandersetzung zu führen.
Im Gegenteil: Wenn wir mehr Menschen und auch mehr junge Menschen gewinnen wollen, sich für Politik zu interessieren und Verantwortung zu übernehmen, dann dürfen wir sie nicht von einem ganz wesentlichen demokratischen Akt - nämlich den Wahlen - ausschließen. Wir verbinden damit die Hoffnung, dass sich ein größerer Teil der Sechzehn- bis Achtzehnjährigen jetzt genauer mit politischen Konzepten der Parteien befasst, dabei auch Anregungen für eigenes Engagement erhält und so der allgemeinen und zunehmenden Politikverdrossenheit entgegen gewirkt werden kann. Zudem fallen ja immer mehr Entscheidungen, die langfristige Auswirkungen haben. Da ist es doch nur logisch, dass einem Teil derjenigen, die mit diesen Auswirkungen heutiger politischer Entscheidungen leben müssen, weiterreichende politische Gestaltungs- und Entscheidungsrechte zugesprochen werden, so auch das Recht, ihre Kommunalparlamente zu wählen und sich demzufolge auch an Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden zu beteiligen.
Vielleicht führt die Tatsache, dass das bezirkliche Wahlrecht jetzt ab 16 Jahre gilt, auch dazu, dass Parteien und andere politische Gruppen dieser Generation mehr Einfluss - mehr verbindlichen Einfluss - in ihren Gremien eröffnen. Und schließlich gibt es eine allgemeine Reifeentwicklung, die die Herabsetzung des Mindestwahlalters auch aus entwicklungspsychologischer Sicht völlig rechtfertigt.
Weil es so viele Gründe gibt, die für die Herabsetzung des bezirklichen Wahlalters auf 16 Jahre sprechen, haben wir auch in Berlin die Herabsetzung des bezirklichen Wahlalters quasi unumkehrbar gemacht, indem wir sie in der Verfassung verankert haben. Dazu brauchten wir eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, und die hatten die vier einreichenden Parteien (SPD, Linkspartei.PDS, FDP und Bündnis 90/Die Grünen). Soll diese Regelung wieder gekippt werden, bedarf es ebenfalls einer Zweidrittelmehrheit, und die ist eigentlich nie zusammen zu bekommen.
In den anderen fünf Bundesländern, in denen das kommunale Wahlalter mit 16 Jahre beginnt, ist dies im Landeswahlgesetz geregelt, wofür man nur eine einfache Mehrheit benötigt. Die braucht man dort allerdings auch nur, um das wieder rückgängig zu machen. Genau das hatte die CDU in Hessen - kaum dass sie die absolute Mehrheit im Landtag bekommen hatte - gemacht und das kommunale Wahlalter 16 wieder aus dem Landeswahlgesetz gestrichen. So etwas ist in Berlin nicht möglich, weil es - siehe oben - in der Verfassung steht, und das ist sehr gut so.
Allerdings wirbt die NPD ganz unverhohlen damit, dass durch die 3-Prozent-Sperrklausel bei den BVV-Wahlen und die Wahlberechtigung für Sechzehn- und Siebzehnjährige ihre Chancen gestiegen seien, in die Bezirksparlamente zu kommen. Ich glaube, dass sich die NPD damit selbst entlarvt, indem sie zugibt, dass sie junge und suchende Menschen übertölpeln zu können glaubt. Wo ich in diesen Tagen bin, weise ich darauf hin und erfahre immer wieder, dass sich junge Menschen sehr über die NPD verärgert zeigen.
Sind junge Menschen wirklich anfälliger für die Parolen der NPD? Eines stimmt: Sie sind suchender und noch nicht in ihrer Grundhaltung verfestigt. Insofern ist es schon möglich, dass sie auch mal schnell ihre Stimme den Rechtsextremen geben. Aber - und das weisen seriöse Forschungen nach - wirklich verfestigte rechtsextreme Haltungen gibt es besonders bei den über Sechzigjährigen.
Zudem sind die Erfahrungen der anderen 5 Bundesländer, in denen das kommunale Wahlalter ab 16 Jahre beginnt, so, dass die Sechzehn- bis Achtzehnjährigen insgesamt nicht viel anders als die über Achtzehnjährigen wählen. Und: Dass junge Menschen Positionen suchen, erweist sich auch immer als eine große Chance, sie über die Demagogie der Rechtsextremen aufzuklären, deren fremdenfeindliche Parolen und "Lösungen" zu hinterfragen und bei ihnen dafür Gehör und Verständnis zu finden. Deshalb gehört für zum Wichtigsten in der politischen Auseinandersetzung mit NPD und anderen rechtsextremistischen Kräften, immer wieder ihre Positionen zu entlarven und auch alle Projekte zu unterstützen, die es z.B. besonders stark in der Jugendszene gibt, die sich mit antifaschistischer Arbeit, Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus sowie auch mit Unterstützungsangeboten für diejenigen befassen, die Hilfen für Ausstiegswillige bereit stellen. Das haben wir in Berlin - trotz des übermäßigen Einspardrucks aufgrund unserer extremen Haushaltskrise - gemacht, und das werden wir weiter sichern.
Wir haben uns auch dagegen gewehrt und machen das weiter, dass die Bundesmittel für die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus umgewidmet werden in Bundesmittel gegen Extremismus jeglicher Art, weil das auf eine Verharmlosung der rechtsextremen Gefahr hinausläuft und diese so wichtige Arbeit entscheidend schwächt.
Wenn wir aber weiter über die Frage nachdenken, womit die Rechtsextremen generell auf Stimmenfang gehen, zeigt sich, dass es ihnen gelungen ist, sich in das allgemeine Protestpotenzial einzugliedern, das es in unserer Gesellschaft in wachsendem Maße gibt. Dieses Protestpotenzial ist aber vor allem die Reaktion auf die inzwischen leider "normale" Politik in Bund und vielen Ländern, dass immer mehr Lasten nach unten abgelagert und im gleichen Maße die starken Schultern mehr und mehr verschont werden.
Deshalb bin ich - auch aus der Sicht der antifaschistischen und antirechtsextremistischen Arbeit heraus - der Auffassung, dass sich die "offizielle Politik" ändern muss. In meiner Tätigkeit als Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und vor allem als Mitglied der rot-roten Regierungskoalition habe ich alles unterstützt, um bei notwendigen Belastungen zu sichern, dass die Schwachen geschont und die starken Schultern zumutbar mehr tragen müssen. Diese Strategie sozialer Gerechtigkeit wollen und werden wir fortsetzen.
Und das gilt auch für eine weitere Behauptung der Rechtsextremen: Sie fordern auf, sie zu wählen, um es "denen da oben" mal kräftig zu zeigen, denn "die da oben machen doch, was sie wollen, und wir da unten können doch reden und fordern und vorschlagen - es hat doch weder Sinn noch Einfluss".
Leider trifft auch diese Demagogie - denn für die Interessen der Bevölkerung und für basisorientierte Demokratie haben sich Neonazis wie auch Altnazis noch nie wirklich interessiert, wie die Geschichte und die Gegenwart zeigen - ebenfalls auf reale Erfahrungen. Nach wie vor sind die politischen Entscheidungsprozesse oftmals völlig von transparenter Öffentlichkeit und vom Bürgereinfluss abgeschottet, und häufig steht die Bevölkerung mit Wut und Ohnmacht dem gegenüber. Deshalb plädiere ich dafür, im politischen System und vor allem in seinen Entscheidungsprozessen grundlegende Änderungen herbeizuführen.
Die von uns für Berlin in den letzten Jahren entwickelten bezirklichen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu den bundesweit besten Bedingungen, die deutlichen Erleichterungen für Volksbegehren und Volksentscheide auf Landesebene, die ersten bezirklichen Bürgerhaushalte, die deutlich verstärkten direktdemokratischen Einflussmöglichkeiten auf viele politische Einzelentscheidungen, die Herabsetzung des bezirklichen Mindestwahlalters auf 16 Jahre - all das sind Schritte, die zu neuen Erfahrungen führen, nämlich dass sich Mitentscheiden lohnt und dass es auf unkompliziertem Wege möglich ist.
In dieser Richtung wollen und müssen wir - ebenso wie bei der direkten antifaschistischen Arbeit und bei der Durchsetzung des Grundsatzes sozialer Gerechtigkeit - weiter gehen, allerdings nicht nur auf der relativ begrenzten Bezirks- und Landesebene, sondern auch auf Bundesebene und in Europa.
Mit freundlichen Grüßen
Peter-Rudolf Zotl