Peter-Rudolf Zotl
DIE LINKE
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Frage von Matthias B. •

Frage an Peter-Rudolf Zotl von Matthias B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Zotl,

1. wie halten Sie es mit dem Doppelgebot zum Schutz und zur Achtung von Menschenwürde fuer alle staatliche Gewalt in Hinblick auf unsere östlichen Nachbarn? Die Berliner Agrarfakultaet hatte sich im Mai 2002 erklaät und
entschuldigt fuer NS-Zwangsarbeit und Völkermord für 25 bis 50 Mio Mittel- und Osteuropaeer im Rahmen damals hochmoderner Raumplanung, siehe
http://www.agrar.hu-berlin.de/fakultaet/history/gpo/020528.htm Diese wichtige und tröstliche Erklaerung ist aber leider noch nie offiziell nach Warschau, Lublin, Prag, Minsk und Moskau übermittelt worden. Ich hatte Sie seit April 06 mehrfach zum Thema befragt und bisher nie eine Antwort bekommen. Ich frage mich gerade angesichts des breiten Desinteresses im AGH, ob polnische und russische Zivilisten für MdAs und für Sie wirklich als vollwertige Menschen gelten oder nicht.

2. Frage zu Transparenz von Behörden: In Charlottenburg, Hardenbergstr. 29a, gab es früher eine Archivalien- und Beutekunstsammelstelle der SS
und des Auswärtigen Amtes. Angesichts der vollständigen Zerstörung von etwa 400 Museen im ns-besetzten Russland und der Sowjetunion waehrend des
Krieges hatten wir den Vorschlag einer mehrsprachigen Kennzeichnung dieses historischen Ortes an die Stiftung Topographie des Terrors und das Museum
Berlin-Karlshorst gerichtet. Beide Institutionen haben nicht geantwortet (der Petitionsausschuss sah auch keinen Rechtsanspruch auf eine Beantwortung einer einfachen Buergerfrage von Seiten des Museums
Berlin-Karlshorst). Wie stehen Sie inhaltlich zum Vorschlag der öffentlichen mehrsprachigen Kennzeichnung dieses Ortes, und teilen Sie
die Position des Petitionsausschusses, wonach kein Anspruch auf die Beantwortung einer Bürgerfrage besteht bzw. inhaltlich indirekt auch die
vollständige Zerstörung von 400 Museen samt Depots als irrelevant eingestuft wird?

Ich bin Agraringenieur, Absolvent der TU Berlin und empfinde die 5 großen Parteien als nicht mehr wählbar

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Burchard,

ich vermute, dass Sie Ihre Frage ursprünglich an mehrere bzw. an alle Kandidatinnen und Kandidaten, die bereits Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses sind, gestellt hatten und nicht originär an mich allein, denn sonst wären Ihnen bestimmte Ungenauigkeiten nicht unterlaufen. So haben Sie in der von Ihnen angesprochenen Sache mit mir auf keinen Fall seit April 2006 kommuniziert. Wenn es so gewesen wäre, hätten Sie selbstverständlich eine Antwort bekommen, denn ich beantworte jede an mich persönlich gerichtete Frage. Bei einer „Massenfrage“, die also als Einzelschreiben an alle Abgeordneten gesandt wurde, ist es schon möglich, dass sie durch die Spezialisten der Fraktion für alle beantwortet wird. Das klappt in der Regel immer, aber ich will nicht ausschließen, dass hier auch einmal ein Unterlassungsfehler passiert ist. Nur mit mir – und jetzt ist die Frage ja an mich direkt gerichtet – haben Sie nicht korrespondiert.

Zu Ihrer ersten Frage: Wie Sie, so bin auch ich – und mit mir meine gesamte Fraktion – der Auffassung, dass die Achtung von Menschenwürde als Staatsziel nicht an den Grenzen des eigenen Staates bzw. Bundeslandes aufhört. Das gilt auch für den von Ihnen geschilderten Fall, weil Ihre Erklärung und Entschuldigung ein wichtiger Beweis dafür ist, dass Ihre Fakultät die Verantwortung für das menschenunwürdige Handeln Ihrer Vorgängerfakultät angenommen, sich davon entschieden distanziert und dafür bei den Opfern entschuldigt hat. Es kann, sehr geehrter Herr Burchard, gar nicht genug solche Zeichen geben, und da ich zu wissen glaube, mit welchen Vorfeld-Debatten die Annahme einer solchen Erklärung verbunden war, zolle ich all denen meine uneingeschränkte Hochachtung, die sich für ihre Verabschiedung besonders engagiert haben.

Doch jetzt beginnen meine Fragen: Die Humboldt-Universität zu Berlin ist keine nachgeordnete Einrichtung des Senats bzw. der für Wissenschaft zuständigen Senatsverwaltung. Sie ist eine Anstalt öffentlichen Rechts, deren Etat durch den Landeshaushalt festgelegt ist und die an die Berliner Hochschulrahmengesetzgebung gebunden ist, die aber ansonsten völlig eigenständig in eigener Verantwortung handelt. Warum wurde Ihre so wichtige und eindringliche Erklärung – einschließlich der Entschuldigung – nicht von der Fakultät bzw. der Universität an die Botschaften der einst betroffenen Länder offiziell übergeben? Warum wurde sie nicht über die Pressekanäle Ihrer Universität verbreitet? Warum ist dieser Weg – der übrigens der völlig normale und legale Weg ist – seit vier Jahren offenbar nicht beschritten?

Es ist mir auch, soweit ich das in der kurzen Zeit zwischen dem Eingang Ihrer Frage und meiner Antwort in der betreffenden Senatsverwaltung recherchieren konnte, nicht bekannt, dass sich die Fakultät bzw. die Universität an den Senat oder die Wissenschaftsverwaltung des Senats mit der Bitte gewandt haben, stellvertretend für Fakultät und Universität diese Übermittlung zu übernehmen. Es wäre zwar völlig unüblich, aber auf jeden Fall machbar gewesen und – dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen – auch gemacht worden.

Angesichts dessen kann ich nicht erkennen, dass die Versäumnisse auf Senatsseite lagen. Deshalb halte ich auch Ihre Zweifel, ob „polnische und russische Zivilisten für MdAs und für Sie wirklich als vollwertige Menschen gelten oder nicht“, für absolut unangemessen und beleidigend.

Zu Ihrer zweiten Frage: Die mehrsprachige Kennzeichnung des Ortes der ehemaligen NS-Sammelstelle für „Beutekunst“ in der Charlottenburger Hardenbergstraße empfinde ich als einen guten Vorschlag. Sie haben ihn richtigerweise an die Stiftung Topographie des Terrors und an das Museum Karlshorst gerichtet. Die Stiftung ist eine eigenständige und eigenverantwortliche Anstalt öffentlichen Rechts und wird vom Bund und vom Land finanziert. Das Museum Karlshorst unterliegt nicht dem Einfluss des Landes Berlin, es ist quasi eine Filiale des Deutschen Historischen Museums, einer eigenständigen Bundeseinrichtung. Warum Sie von dort für Ihren guten Vorschlag keine Antwort erhalten haben, ist mir nicht erschließbar. Ich habe Ihr Anliegen dem zuständigen Senator übermittelt, und er hat zugesagt, im Rahmen seiner Möglichkeiten in der Sache behilflich zu sein.

Und dann kritisieren Sie den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses, der offensichtlich von einer Beantwortung Ihrer Bürgeranfrage mit dem Hinweis darauf, dass es bei einer solchen keinen Rechtsanspruch auf Beantwortung gäbe, abgesehen hat. Das kann ich mir nur so erklären, dass auch der Berliner Petitionsausschuss sich immer der Grenzen seines Einflussbereiches bewusst sein muss, und die sind durch § 5 des Berliner Petitionsgesetzes gezogen. Er kann sich nur an Anstalten des öffentlichen Rechts des Landes Berlins wenden und das auch nur „in dem Umfang, wie diese einem dem Abgeordnetenhaus Verantwortlichen der Aufsicht unterworfen sind“. Insofern kann ich mir erklären, warum der Petitionsausschuss davon abgesehen hat, eine inhaltliche Stellungnahme abzugeben. Und um rechtlich ganz sicher zu gehen und einer eventuellen Klage vorzubeugen, hat er auf die Regeln hingewiesen, denen er unterliegt und an die er gebunden oder nicht gebunden ist. Das ist alles scheinbar bürokratisch, aber auch Demokratie braucht verbindliche Regeln, um zu funktionieren, und dazu gehören eben auch Zuständigkeiten. Auch in diesem Falle ist Ihre politische Schlussfolgerung, dass der Berliner Petitionsausschuss „die vollständige Zerstörung von 400 Museen samt Depots als irrelevant einstuft“, falsch und widerspricht der antifaschistischen Grundposition des Abgeordnetenhauses in eklatanter Weise.

Aber, sehr geehrter Herr Burchard, ich habe – wie gesagt – den zuständigen Senator Dr. Flierl heute um Aufklärung und Hilfe gebeten, und sobald Klarheit in der Sache ist, werde ich Sie noch einmal ausführlich in Kenntnis setzen.

Mit freundlichen Grüßen

Peter-Rudolf Zotl