Frage an Peter-Rudolf Zotl von André N. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Dr. Zotl,
die Abstimmung über die Änderung der Berliner Verfassung und die Möglichkeit für die 16-18jährigen,an der BVV-Wahl teilzunehmen, ist ja insbesondere auch Ihrem Engagement zu verdanken. Warum wurde aber das Vorhaben "Politisches Bezirksamt" (siehe Punkt 8 der Koalitionsvereinbarung) von Rot/Rot nicht realisiert?
Wie sehen Sie die Möglichkeiten für eine Fusion von Berlin und Brandenburg (Punkt 2 der Koalitionsvereinbarung) und welche Rolle bzw. welchen Status wird die Stadt Berlin in einem ev. künftigen Bundesland Berlin-Brandenburg einnehmen?
Mit den besten Wünschen aus Karlshorst
André Nowak
Sehr geehrter Herr Nowak,
in der Koalitionsvereinbarung hatten wir uns nicht darauf geeinigt, das politische Bezirksamt einzuführen, sondern die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Es gibt einen von der Berliner Verfassung gesetzten Termin (Art. 99 VvB), nämlich den 1. Januar 2010. Da läuft die jetzige Art der Bezirksamtsbildung (einschließlich der Zählgemeinschaften zur Bürgermeisterwahl) aus, und bis dahin muss die neue Regelung da sein.
Drei Parteien bzw. Abgeordnetenhausfraktionen - die SPD, die Grünen und die Linkspartei.PDS - bekennen sich zum politischen Bezirksamt. Die Grundidee ist, die gestaltungspolitischen Möglichkeiten von Bezirksverordnetenversammlung und Bezirksamt deutlich dadurch zu erweitern, dass das jetzige Proporzprinzip (das Bezirksamt wird nach der Stärke der BVV-Fraktionen besetzt) durch das Koalitionsprinzip (inhaltlich übereinstimmende Parteien bilden das Bezirksamt, also eine politische Koalition) ersetzt wird. Der Realisierung des Prinzips des "politischen Bezirksamtes" steht aber zur Zeit grundsätzlich entgegen, dass die Selbstverwaltungsorgane der Bezirke lediglich Teil der Verwaltung sind. Und genau um die Auflösung dieses Widerspruches geht es: Ein politisches Bezirksamt macht nämlich nur Sinn, wenn die Grundsätze der einheitlichen politischen Leitung der Stadt und der dezentralen Fach- und Ressourcenverantwortung miteinander so verbunden werden, dass sich die Stadt als Ganzes in eine bestimmte Richtung entwickelt und zugleich der Vielfalt und Differenziertheit in den Bezirken Rechnung getragen wird. Eine nur "politisierte Vollzugsverwaltung" in den Bezirken macht keinen Sinn.
Wir haben uns in der zu Ende gehenden Legislaturperiode bemüht, einem solchen System näher zu kommen. So wurden eine Reihe grundsätzlicher stadtpolitischer Entscheidungen in enger Gemeinsamkeit von Land und Bezirken vorbereitet und getroffen. In dem Zusammenhang gibt es auch erste Schritte für ein entsprechendes Anreizsystem, das die Bezirke bevorteilt, die die gemeinsam getroffenen Vereinbarungen konsequent und schöpferisch umsetzen. Aber es fehlen noch völlig die ebenfalls erforderlichen Sanktionsmöglichkeiten, denn zur Zeit haben die Bezirke keine Nachteile, wenn sie sich nicht an diese Vereinbarungen halten. Wir haben auch das Problem intensiv durchleuchtet, welche Kompetenzen zusätzlich in die Bezirke gehen müssen und auch wichtige Schritte dafür unternommen. Zum Beispiel haben wir - im Zusammenhang mit der Einführung bezirklicher Bürgerentscheide - die ausschließlichen Kompetenzen der Bezirksverordnetenversammlungen deutlich erweitert. Aber in diesem Zusammenhang trat immer wieder die Forderung auf, bereits vorgenommene Dezentralisierungen wieder zu rezentralisieren. Das verlief und verläuft natürlich nicht immer konfliktfrei. Schließlich sind wir ein Haushaltsnotlageland, und nicht selten müssen - zusätzlich zu den Planungen - weitere Konsolidierungsschritte kurzfristig gegangen werden. Das macht nicht selten die Planungssicherheit von Bezirken zunichte. Auf der anderen Seite verfügen die Bezirke, die das System des Produkthaushaltes und des Wettbewerbs konsequent durchsetzen, über beträchtliche zusätzliche Mittel, weil das Land die durchschnittlichen Produktkosten finanziert, einige Bezirke aber durch intensive Eigenanstrengungen unter diesem Durchschnitt bleiben. Schließlich gibt es in den Bezirken selbst sehr viele Vorbehalte gegenüber einem politischen Bezirksamt, und die Vorteile, die das Proporz-Bezirksamt mit sich bringen würde, werden stark thematisiert. Und auch das ist nicht einfach abzutun, denn da stehen ja reale Erfahrungen dahinter. Ich will aber nicht ausschließen, dass ein politisches Bezirksamt auch mehr Eigenverantwortung bedeutet und dass es einige in den Bezirken für bequemer halten, bei jedem Konflikt nach oben zu zeigen. Das ginge bei einem politischen Bezirksamt so einfach nicht mehr.
Alles in allem: Die politisch-inhaltliche Stärkung der Bezirke ist die Grundvoraussetzung und Kernfrage für die Einführung des politischen Bezirksamtes, und das ist ein kompliziertzer und vielschichtiger Prozess, den wir ganz sicher unterschätzt haben. Meine Partei hat vor einiger Zeit eine diesbezügliche Arbeitsgruppe gebildet, um in der Kompetenzverteilung konstruktiv voran zu kommen, aber bei jeder Frage gibt es berechtigte Für und Wider. So muss die Lösung dieser Frage in die nächste Legislaturperiode verschoben werden, weil wir sie eben nicht - siehe die angeführten Gründe - übers Knie brechen wollten.
In der Koalitionsvereinbarung hatten wir auch eine klare Vorstellung über die Fusion zwischen Berlin und Brandenburg aufgeschrieben: 2006 eine Volksabstimmung und - in Abhängigkeit vom Ergebnis - 2009 die Fusion. Vor allem auf Druck meiner Partei hatten sich auch alle Berliner Parteien geeinigt, diesmal nicht das Wie einer Fusion (also den Fusionsvertrag), sondern das Was (Was für ein Land soll es werden? Welche Grundzüge soll die Verfassung des künftigen Landes haben?) zur Abstimmung zu stellen. Bis auf die Brandenburger CDU gab es dazu auch von Brandenburger Seite Einverständnis, aber die CDU war bereits damals in Brandenburg in einer Koalition mit der SPD, und so waren dieser die Hände gebunden, als die Brandenburger CDU etwa 2002 diesem Vorhaben eine Absage erteilte. Seitdem ist de facto die Frage der Fusion vom Tisch, weil die Brandenburger Seite nicht will.
Allerdings haben seriöse Untersuchungen festgestellt, dass die Vorbehalte in Brandenburg weniger von der Bevölkerung (da wächst die Zustimmung immer mehr) kommen als von der "politischen Klasse". Und einige Entscheidungen des Brandenburger Landtages - z.B. der neue Landtagsbau, aber auch einige Seiten der neuen Wirtschafts- und Speckgürtelförderung - machen es schwer, den wissenschaftlichen Expertisen nicht zu folgen.
Dennoch ist eine Reihe von Veränderungen und Verbesserungen eingetreten: es gibt inzwischen weit über 30 Staatsverträge zur Kooperation und vor allem zur Zusammenlegung von ministeriellen und Verwaltungsbereichen. Wir haben inzwischen gemeinsame Obergerichte und Weiterbildungsstätten. Die Berliner Landwirtschaft wird vom Brandenburger Ministerium mitverwaltet. Die Landesentwicklungsplanung erfolgt gemeinsam. Aber es gibt auch Rückschläge, wenn z.B. von Brandenburger Seite die geplante gemeinsame Außenvertretung beider Länder oder die gemeinsame Polizeiausbildung wieder abgesagt werden.
Viel - um auf Ihre Frage zu den Chancen zu kommen - wird davon abhängen, wie in Sachen der Berliner Klage vor dem Bundesverfassungsgericht auf Bundesergänzungshilfe entschieden wird. Jetzt befürchten noch viele - obwohl es in allen Verträgen ausgeschlossen ist -, dass nach einer Fusion die Berliner Schulden dem gemeinsamen Land aufgebürdet werden, wo doch Brandenburg selbst auf dem Wege ist, in Richtung Berliner Schulden zu marschieren. Und dann ist auf jeden Fall auf die Kraft der Vernunft zu setzen, denn Berlin ist eindeutig der Magnet in der Region, und wenn das vernünftig genutzt wird, dann hat die gesamte Region etwas davon. Genau dieser Ansatz liegt den kürzlich verabschiedeten Grundsätzen der gemeinsamen Länderentwicklung zugrunde, und diese müssen nun ausgefüllt werden. Ich hoffe, dass zumindest das neue Berliner Abgeordnetenhaus von den dafür erforderlichen Mehrheiten geprägt sein wird.
Was die Stellung Berlins in einem künftigen gemeinsamen Land betrifft, sind zum jetzigen Zeitpuunkt noch mehrere Szenarien denkbar. Die einfachste wäre, dass Berlin eine kreisfreie Stadt - allerdings mit entsprechenden Rechten einer Hauptstadt - wird. Denkbar wäre aber auch ein Gemeindeverbund, in dem die Bezirke quasi eigenständig sind. Es gibt auch die Idee, dass der Regierungsbezirk in Berlin direkt dem Bund unterstellt werden sollte. Ich glaube nicht, dass es zur Auflösung der Einheitsgemeinde (und das würden ja die beiden letzten Ideen bedeuten) kommt, aber wie die Einheitsgemeinde konkret gestaltet wird, das muss noch gründlich bedacht werden. Vor allem im oben erwähnten Sinne der dezentralen Fach- und Ressourcenverantwortung bei verbindlicher gesamtstädtischer Steuerung.
Mit freundlichen Grüßen
Peter-Rudolf Zotl