Frage an Peter Müller von Matthias F. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Müller,
in letzter Zeit wurde ich zunehmend auf die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens aufmerksam. In diese Richtung zielt meine Frage: Wie lautet Ihre Meinung zum Konzept des Solidarischen Bürgergeldes von Ihrem Amtskollegen Dieter Althaus?
Mit freundlichen Grüßen,
Matthias Fischer
Sehr geehrter Herr Fischer,
bitte haben Sie Verständnis, wenn ich diese Frage weder eindeutig noch abschließend an dieser Stelle beantworten möchte. Grundsätzlich hat das Modell des solidarischen Bürgergeldes, das vor drei Jahren von meinem Kollegen Althaus in die Diskussion gebracht wurde, einiges für sich. So würde mit dem Grundeinkommen den Bedürftigen geholfen, und die Kombination von Bürgergeld mit niedrig bezahlter Erwerbstätigkeit würde zu einem höheren Einkommen führen als die derzeitige Hartz-IV-Regelung mit anrechnungspflichtigen Minijobs. Dem Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ würde damit in stärkerem Maße Rechnung getragen. Zudem würde diese Art einer materiellen Grundsicherung vermehrt zur unternehmerischen Selbständigkeit anregen, da das persönliche Existenzrisiko minimiert würde.
Ein weiterer Vorteil läge sicherlich in der Reduzierung der Lohnnebenkosten und in den Einspareffekten bei den Sozialverwaltungen wie auch in den Anreizen zur Familienarbeit oder zur ehrenamtlichen Betätigung. Aufgrund all dieser unübersehbaren Vorteile habe ich mich in der Vergangenheit bereits des Öfteren dafür ausgesprochen, dieses Modell aufgeschlossen und ernsthaft zu diskutieren.
Allerdings müssen im Rahmen dieses Diskussionsprozesses noch zahlreiche Fragen geklärt werden, die sich bis heute in diesem Zusammenhang stellen.
So ist noch immer nicht klar, wie hoch sich die tatsächlichen Kosten belaufen, die dieses Modell verursachen würden. Hier kommen die verschiedenen Berechnungen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen: Während die Befürworter wie etwa das Hamburger Weltwirtschaftsinstitut aufgrund der Einsparungen im Bereich der Sozialverwaltungen von einer Kostenneutralität und im günstigen Falle sogar von einem Plus in den öffentlichen Haushalten ausgehen, rechnet etwa das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) mit Mehrkosten in Höhe von rund 165 Milliarden Euro. Im Jahresgutachten 2008/09 des Sachverständigenrates ist gar von einer Finanzierungslücke in Höhe von 227 Milliarden Euro die Rede. Hier besteht also noch erheblicher Klärungsbedarf.
Unbeantwortet ist auch die Frage, wie mit den in Deutschland zum Teil abweichenden Lebenshaltungskosten umzugehen ist. Diese werden beispielsweise im Falle der Wohnkosten von dem jetzigen ALG II berücksichtigt, so dass ein Hartz IV-Empfänger in der Großstadt mit höheren Mieten in aller Regel mehr an Transferleistung erhält als der auf dem Land lebende. Das sogenannte große Bürgergeld von 800 bzw. 600 Euro nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrages würde beispielsweise bei einem alleinlebenden Großstadtbewohner geringer ausfallen als das ALG II. Dieses Problem der sozialen Ausgewogenheit müsste also noch gelöst werden, was gleichzeitig aber wiederum kompliziertere Verfahrens- und Berechnungsmodalitäten mit sich bringen würde.
Ein weiteres Problem ist, dass das Bürgergeld eine radikale Abkehr von bisherigen grundlegenden Prinzipien unseres Sozialsystems bedeutet wie etwa der Beitragsäquivalenz oder der Lebensstandardsicherung. Indem die Bürger keine Beiträge mehr zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung zahlen, können sie auch keine individuellen Ansprüche aus diesen Systemen erwerben, sondern müssen sich auf die jeweiligen politischen Mehrheiten verlassen. Wer arbeitslos wird, bekommt demnach kein Arbeitslosengeld I oder Arbeitslosengeld II mehr, sondern genau wie jeder andere, der arbeitet oder noch nie in seinem Leben gearbeitet hat, das große oder kleine Bürgergeld, was wiederum die Gerechtigkeitsfrage aufwirft.
Es gibt zahlreiche weitere Punkte, die in diesem Zusammenhang noch zu hinterfragen wären. Jedenfalls sehen Sie, dass es sich bei dem Modell des solidarischen Bürgergeldes um eine hochkomplexe Angelegenheit handelt, die längst nicht zur Genüge ausdiskutiert ist und noch erheblichen Klärungs- und Diskussionsbedarf beinhaltet. Dass wir diese Diskussion aber führen und die entsprechenden Klärungsprozesse herbeiführen müssen, daran habe ich keinen Zweifel.