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Otto Fricke
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Frage von Franz B. •

Frage an Otto Fricke von Franz B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Fricke,

es geht um das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Die Kommunikationsdaten unseres ganzen Volkes sollen gespeichert werden. Wir, unsere Großeltern, Eltern und unsere Kinder sollen wie verdächtige Verbrecher überwacht werden. Was ist Ihre Meinung hierzu? Werden Sie etwas dagegen unternehmen?

Mit freundlichen Grüßen
F. Bergmann

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Bergmann,

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne antworte ich Ihnen, und es wird Sie nicht verwundern, dass ich als Liberaler Ihnen weithin zustimme.

Die wirksame Bekämpfung des internationalen Terrorismus ebenso wie der global vernetzten organisierten Kriminalität gehört zu den drängenden Aufgaben unserer Zeit. Sie wird freilich dadurch ungleich erschwert, dass immer neue technische Möglichkeiten der Kommunikation und Vernetzung den potenziellen Gefährdern der öffentlichen Sicherheit zahlreiche Schlupflöcher eröffnen, den staatlichen Instrumenten der Gefahrenabwehr, insbesondere präventiver Beobachtung, zu entgehen. Der Gesetzgeber ist daher gut beraten, auch neue Mittel und Maßnahmen schlicht deshalb sorgfältig zu prüfen, um dem Rechtstaat auch unter den Vorzeichen einer neuen Bedrohungslage zur Durchsetzung zu verhelfen.

Allein, der Rechtsstaat kann nur dann durchgesetzt werden, wenn er auch Rechtstaat bleibt. Es kann und darf daher nie um ein völliges Gleichgewicht der Mittel und Möglichkeiten gehen; denn anders als seine Gefährder kennt der Rechtsstaat Grenzen. Er ist wesentlichen unveräußerlichen Persönlichkeitsrechten verpflichtet, und verboten ist ihm jedes Übermaß, gerade beim Eingriff in die Freiheitssphäre seiner Bürger. Die Vorratsdatenspeicherung, wie sie nun geplant ist, genügt diesen beiden Grundsätzen nicht.

Mehr noch: Der Weg der Vorratsdatenspeicherung ist schon sicherheitspolitisch ein grober Irrweg, und bürgerrechtlich ist er ein Dammbruch. Nicht umsonst hat der Bundesgerichtshof schon im vergangenen Jahr erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel an dem Instrument geäußert. Es gilt im politischen Umgang stets vorsichtig zu sein mit dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit; er ist stets das schärfste Schwert. Aber diesem Vorhaben ist die Verfassungswidrigkeit evident auf die Stirn geschrieben.

Jeder Eingriff in die Freiheitssphäre von Bürgern setzt voraus, dass zwei Fragen mit einem „Ja“ beantwortet werden können. Erstens: Brauche ich ihn? Zweitens: Darf ich ihn?

Braucht man die Vorratsdatenspeicherung? Alle Verbindungsdaten jeder Kommunikation für mindestens sechs Monate zu speichern, könnte dann sinnvoll sein, wenn die Gleichung gälte: Mehr Daten bedeuteten auch immer mehr Sicherheit. Aber das stimmt so nicht. Maßgeblich ist, wie die Daten, die erhoben sind, ausgewählt und wie sie ausgewertet werden. Ebenso wenig, wie man dadurch mehr weiß, dass man daheim Zeitungsberge stapelt, wird unsere Rechtsordnung dadurch geschützt, dass sie Daten häuft und häuft, mit denen sie doch nichts anfangen kann. Wichtig wäre also, jene Daten, die nach geltender Rechtslage schon erhoben werden, und die Instrument, über die Rechtsstaat schon verfügt, effektiv zu nutzen. Dafür leisten neue Daten, leistet ein neues Instrument nichts.

Darf man die Vorratsdatenspeicherung einführen? Die Bedenken wiegen schwer. Denn noch der derzeitige, schon abgemilderte Entwurf sieht vor, dass Telekommunikationsunternehmen ihre Daten sechs Monate lang speichern müssen. Es ist offenbar, dass damit die Persönlichkeitsrechte insgesamt erheblich beeinträchtigt werden. Das Recht auf Privatheit und die Freiheit des privaten Umgangs gehört zu den Grundfesten unseres Rechtstaates. Der Verfassungskonflikt ist damit vorprogrammiert. Die Funktion der Vorratdatenspeicherung ist dabei auch eine symbolisch verhängnisvolle: Sie gibt dem Generalverdacht und dem Misstrauen gegen die gesamte Bevölkerung Ausdruck. Dies tatsächlich ist der einzige Effekt, der mit Gewissheit eintreten wird: Alle Bürger verlieren die Garantie, dass ihre Kommunikation vertraulich bleibt, so lange sie nicht verdächtig sind.

Allerdings muss bei der Vorratsdatenspeicherung noch eine dritte Frage gestellt werden, die Frage nach dem „Muss“: Muss man vielleicht die Vorratsdatenspeicherung einführen? Denn immerhin beruht die Vorratsdatenspeicherung auf Europäischem Recht. Im Februar 2006 haben die Justiz- und die Innenminister der EU-Staaten vor dem Hintergrund von Antiterrormaßnahmen ihre Zustimmung zu einer Richtlinie gegeben, welche Telekommunikations-Anbieter verpflichtet, elektronische Daten zu speichern. Diese so genannte Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet Deutschland, bei allen Bedenken, zunächst einmal zur Umsetzung. Der Bundesjustizministerin ist vorzuwerfen, dass sie auf europäischer Ebene im vollen Bewusstsein der möglichen Verfassungswidrigkeit ihre Zustimmung erteilt hat. Es ist durchaus ein Trauerspiel, dass die Minister der EU-Staaten auf europäischer Ebene eine Richtlinie aushecken, vor deren Umsetzung die nationalen Parlamente fast ohnmächtig stehen.

Der offenbare Konflikt zwischen europäischer Umsetzungspflicht und den Maßstäben des nationalen Verfassungsrechts lässt sich nicht einfach dadurch lösen, dass man die Richtlinie nicht umsetzt. Dafür ist die Frage juristisch und politisch viel zu kompliziert. Bedenklich ist aber, wie schnell und wie die Bundesregierung die Richtlinie umzusetzen sucht.

Es ist zum einen unbedingt erforderlich, dass die Bundesregierung nun bei der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung den rechtsstaatlichen Maßstäben und der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine größere Beachtung schenkt. Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, dass der in dieser Woche dem Bundestag zur Abstimmung vorliegende Gesetzesentwurf die Richtlinie mehr als nur punktgenau umsetzt: Die Eingriffe durch das umsetzende deutsche Gesetze dürfen keineswegs jene Eingriffe übersteigen, welche die Richtlinie unbedingt gebietet.

Zum anderen aber wäre es doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt noch nicht erforderlich, die Richtlinie schon jetzt umzusetzen. Gegenwärtig müsste vielmehr die Vorratsdatenspeicherung aus dem Gesetzgebungsverfahren heraus genommen werden. Sowohl Irland als auch die Slowakei haben aus kompetenziellen Gründen vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Richtlinie geklagt. Sie machen geltend, die EG sei überhaupt nicht zuständig, diese Richtlinie zu beschließen; es hätte vielmehr nur einen EU-Rahmenbeschluss geben dürfen. Daher wäre nun zumindest abzuwarten, ob die Rechtsgrundlage für die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland überhaupt für rechtmäßig erklärt wird. So unverantwortlich, wie die Justizministerin durch ihre Zustimmung auf europäischer Ebene gehandelt hat, handelt sie nun auch, indem sie das Gesetzgebungsverfahren übermäßig vorangetrieben hat. Ratsam – aber natürlich mit der vorherigen Zustimmung der Ministerin unvereinbar – wäre es gewesen, wenn auch Deutschland sich um Rechtsschutz gegen die Umsetzungspflicht bemüht hätte.

Sie sehen, sehr geehrter Herr Bergmann, die Frage der Vorratsdatenspeicherung liegt kompliziert: Ich lehne das Vorhaben ab, weil ich es für falsch und verfassungsrechtlich bedenklich halte. Aber ich kann nicht verkennen, dass es auf europäischer Ebene einen Beschluss gibt, der prinzipiell die Umsetzung gebietet – und daran muss man sich auch halten. Doch wäre bei der Umsetzung überhaupt Zurückhaltung geboten und sie jedenfalls jetzt verfrüht.

Ich will aber auch der Frage nicht ausweichen, was ich gegen das Vorhaben unternehmen will. Ich will Ihnen da nichts versprechen, was ich nicht halten kann. Ich bin Oppositionspolitiker und kein Teil der Mehrheit im Bundestag: Wenn die Koalition am Freitag dieser Woche eine ausgedehnte Vorratsdatenspeicherung im Bundestag beschließen will, so kann ich das politisch kaum verhindern. Was ich aber kann, ist stets auf den Umstand hinzuweisen, stets zu mahnen und zu warnen, also Öffentlichkeit für das Problem herzustellen, um vielleicht andere zur Einsicht zu leiten, nicht zuletzt deshalb, weil sich auch beschlossene Gesetze wieder ändern lassen. Das will ich tun.

Es grüßt Sie freundlich

Otto Fricke, MdB

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