Frage an Otto Fricke von Hendrik G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Fricke,
Die Deutsche Industrie und Handelskammer betreibt aktive Lobbyarbeit um vermeintliche Interessen der Wirtschaft durchzusetzen. Als Unternehmer bin ich verpflichtet Beiträge an die IHK zu entrichten. Auch wenn mein Unternehmen von bestimmten Zielsetzungen der IHK unter Umständen profitiert, bezweifle ich häufig deren Sinn für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung. Als zahlungspflichtiges Zwangsmitglied der IHK bin ich somit nach derzeitiger Gesetzeslage verpflichtet politische Lobbyarbeit zu unterstützen, deren Zielsetzung meiner persönlichen politischen Auffassung widerspricht.
Wie lässt sich die derzeitige Gesetzeslage zur Zwangsmitgliedschaft in einer politischen Organisation Ihrer Meinung nach mit Grundsätzen einer freien, demokratischen Gesellschaft vereinbaren? Und falls Sie hier ebenfalls Probleme erkennen, welche Maßnahmen sind in Ihrer Partei geplant um diesen Umstand zu verbessern?
Sehr geehrter Herr Göbel,
die Diskussion um die Pflichtmitgliedschaft bei den Industrie- und Handelskammern ist ein Dauerbrenner. Seit dem es die Pflichtmitgliedschaft gibt, regt sich Widerstand dagegen. Besondere Widerstandswellen sind immer dann zu beobachten, wenn sich der Eindruck verstärkt, dass die Dienste der Kammern einem selbst nicht zu Gute kommen oder schlimmer, gar nicht ersichtlich wird, welche Dienste die Kammern überhaupt erbringen.
Weiterhin scheint der Kontakt zu und die Kommunikation mit den Mitgliedern von Kammerbezirk zu Kammerbezirk durchaus unterschiedlich ausgeprägt zu sein. Für die FDP steht zudem fest: Die Kammern müssen sich vielfach grundlegend reformieren. Sie dürfen nicht mehr auf Feldern tätig sein, wo ein ausreichendes Angebot von Seiten privater Dienstleister zur Verfügung steht. Ebenso muss die Doppelarbeit zwischen Kammern und Behörden deutlich vermindert werden. Zeitraubende bürokratische Querverbindungen sind in Zukunft zu vermeiden. Insofern bleibt das gesamte deutsche Kammerwesen auf einem permanenten Reformprüfstand.
Die schwarz-gelbe Koalition hat zudem in dieser Legislaturperiode die Reformanstrengungen forciert, indem sie das sog. E-Government Gesetzt verabschiedet hat. http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/IT-Netzpolitik/E-Government/E-Government-Gesetz/e-government-gesetz_node.html
Darin sind folgende Änderungen enthalten:
Folgende drei Änderungen des IHK-Gesetzes wurden in den Gesetzentwurf aufgenommen:
• Beitragsbefreiung für eingetragene Vereine ohne Kaufmannseigenschaft
(Änderung § 3 Absatz 3 Satz 3):
§ 3 Absatz 3 Satz 3 bezweckt die Freistellung von Kleinstgewerben von der Beitragspflicht. Eingetragene Vereine mit geringfügiger wirtschaftlicher Betätigung sind derzeit nicht von dem Wortlaut der Vorschrift erfasst. Eine Ungleichbehandlung der eingetragenen Vereine ohne Kaufmannseigenschaft ist aber nicht gerechtfertigt. Die Neufassung der Vorschrift dient der Klarstellung der geltenden Rechtslage.
Neue Fassung § 3 Absatz 3 Satz 3:
„Natürliche Personen und Personengesellschaften, die nicht in das Handelsregister eingetragen sind, und eingetragene Vereine, wenn nach Art oder Umfang ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb nicht erforderlich ist, sind vom Beitrag freigestellt, soweit ihr Gewerbeertrag nach dem Gewerbesteuergesetz oder, soweit für das Bemessungsjahr ein Gewerbesteuermessbetrag nicht festgesetzt wird, ihr nach dem Einkommensteuergesetz ermittelter Gewinn aus Gewerbebetrieb 5.200 Euro nicht übersteigt.“
• Rechtsform des öffentlich-rechtlichen Zusammenschlusses
(Änderung § 10 Absatz 4)
Im IHK-Gesetz ist die Rechtsform des öffentlich-rechtlichen Zusammenschlusses bislang nicht ausdrücklich festgelegt. Durch die entsprechende Anwendung von § 3 Abs. 1 des IHK-Gesetzes wird jetzt bestimmt, dass der öffentlich-rechtliche Zusammenschluss in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu errichten ist.
Ergänzung: IHKs aller Bundesländer haben im Frühjahr 2012 einen öffentlich-rechtlichen Zusammenschluss zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Berufsqualifikationen mit Sitz in Nürnberg konstituiert. Dieser Zusammenschluss führt den Namen „IHK FOSA“ (Foreign Skills Approval). Die IHK FOSA wurde als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegründet.
• Bereinigung von § 12 Abs. 1
Nach § 12 Abs. 1 Nr. 9 können durch Landesrecht ergänzende Vorschriften über die Mitglieder der Berufsbildungsausschüsse erlassen werden. Der Berufsbildungsausschuss ist nicht mehr im IHK-Gesetz, sondern in den §§ 77-80 des Berufsbildungsgesetzes geregelt. Einer Regelungskompetenz für den Landesgesetzgeber bedarf es nicht mehr. Die Regelung des Nr. 9 wird aufgehoben.
Ihre Frage zur Interessensvertretung der Industrie- und Handelskammern ist durchaus plausibel, wenn man bedenkt, dass Handelskammern Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und hoheitliche sowie regulierende Aufgaben übernehmen. Hier hat jedoch das Bundesverfassungsgericht entsprechend der Intention des Gesetzgebers bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Wahrnehmungen von Interessen der Wirtschaft nicht „reine Interessensvertretung“ bedeuten, sondern abwägende, auf Interessensausgleich bedachte und objektivierende Vertretung von Gesamtinteressen.
Nach einem Urteil aus dem Jahre 2010 bekräftigt das Bundesverfassungsgericht jedoch ausdrücklich das Recht der Kammern sich zum Gesamtinteresse ihrer Mitglieder zu äußern. Von „Lobbying“ kann also nicht gesprochen werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen raten, sich nicht zurück zu ziehen, sondern die Geschicke Ihrer Kammer mit zu gestalten. Dies ist jederzeit über die Vollversammlungen möglich. Ich kann mir vorstellen, dass Sie für Ihre Positionen viel Zuspruch erfahren.
Gegenwärtig sehe ich keine Alternative dazu, dass die Selbstverwaltung der Wirtschaft im Rahmen einer Pflichtmitgliedschaft funktioniert. Aufgaben, die den Kammern durch Gesetz und Verordnung zugewiesen sind müssten sonst letztlich von der Staatsbürokratie erfüllt werden. Der Staat müsste aus öffentlichen Mitteln ein umfangreiches Leistungsspektrum bereit halten: Die Betreuung von 850.000 Auszubildenden, die Abnahme von jährlich 290.000 Zwischenprüfungen und 330.00 Abschlussprüfungen, die öffentliche Bestellung und Betreuung von etwa 7000 Sachverständigen und die Beantwortung von rund 110.000 Anfragen von Gerichten, Unternehmen und Privatpersonen nach geeigneten Sachverständigen, die Ausstellung von jährlich etwa 1,2 Millionen Exportdokumenten sowie die ca. 350.000 Existenzgründungsberatungen, die zurzeit von den IHK`n durchweg kostenlos erbracht werden. Daneben wäre fraglich, was mit den Einigungsstellen für Wettbewerbsstreitigkeiten bei den Kammern passieren würde. Dort werden immerhin 1.800 Fälle jährlich verhandelt und mit einer Erfolgsquote von rund 50 Prozent abgeschlossen. Auch gutachterliche Stellungnahmen zu Förderanträgen, zur Eintragungsfähigkeit im Handelsregister oder zur Bauleitplanung müssten anders organisiert werden.
Nach Einschätzung der FDP ist die staatliche Bereitstellung all dieser Leistungen keine Alternative. Vermutlich würden die gesamtwirtschaftlichen Kosten für diese Leistungsbereitstellung steigen. Insofern hält die FDP - unabhängig von der Notwendigkeit die Kammertätigkeiten auch kritisch zu begleiten - die Pflichtmitgliedschaft für nach wie vor erforderlich und sachgerecht.
Ihr Otto Fricke