Frage an Otto Fricke von Ulrich B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Herr Fricke,
als Liberalem dürfte es Ihnen nicht schwerfallen, meiner Frage eine positive Antwort zu geben.
Was halten Sie von meinem Vorschlag,den Abgordneten im deutschen Bundestag wie vielen anderen Berufstätigen einen ganz normalen Anstellungsvertrag zu geben, in dem genau geklärt ist, was Abgeordnete dürfen und was nicht und sie dann ev. auch sanktioniert werden können, befristet jeweils auf die Dauer einer Wahlperiode?
Freue mich auf Ihre Antwort.
Ulrich Balkenhol
Sehr geehrter Herr Balkenhol,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich leider erst jetzt, im gerade begonnenen neuen Jahr, beantworten kann. Vorab wünsche ich Ihnen für das Jahr 2013 alles erdenklich Gute.
Ihren Vorschlag, der so oder anders immer einmal wieder unterbreitet wird, unterstütze ich ausdrücklich nicht - gerade übrigens als Liberaler. Abgeordnete sind nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 des Grundgesetzes "Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Angestellte demgegenüber sind stets weisungsabhängig und an Aufträge gebunden. Das Grundgesetz ist also eindeutig: Abgeordnete sind keine Angestellte, und jedes Gesetz, das sie zu Angestellten machen wollen würde, wäre ohne jeden Zweifel verfassungswidrig. Es hätte keinen Bestand.
Ich will mich indes nicht allein auf das - freilich entscheidende - verfassungsrechtliche Argument zurückziehen. Auch inhaltlich halte ich Ihren Vorschlag für nicht vernünftig. Nichts ist gewonnen, wenn Abgeordnete als Angestellte behandelt werden. Wer soll die Arbeitsleistung von Abgeordneten überwachen? Wer soll sie - worin auch immer - sanktionieren, sie beurteilen, Ihnen Urlaub gewähren usw? Woran soll die Sanktion anknüpfen: etwa an ein bestimmtes Abstimmungsverhalten? Wer ist ganz konkret der Vorgesetzte der Abgeordneten im betrieblichen, also parlamentarischen, Alltag (gewiss, allgemein ist es das Volk; aber das wird ja durch uns Abgeordnete vertreten)?
Ihrer Frage entnehme ich, dass Sie glauben, Abgeordneten seien privilegiert, weil sie nicht Angestellte sind. Das mag zu einem Teil sein. Zu einem anderen Teil stimmt aber auch: Angestellt zu sein, wäre für Abgeordnete weitaus bequemer. Stattdessen bringen es die Freiheit des Mandats und die regelmäßigen Wahlen mit sich, dass Abgeordnete eher Unternehmer sind. Sie können frei entscheiden, aber sie tragen für ihre Entscheidungen auch die alleinige Verantwortung - niemand sonst. Abgeordnete haben Zeit, sich im Wettbewerb um die Wählergunst zu bewähren. Nach vier Jahren müssen sie mit ihrer Bilanz vor die Wähler treten. Die Wähler entscheiden, ob sie den Abgeordneten noch einmal das Vertrauen schenken - oder nicht. In diesem Sinn sind vielleicht die Wähler die Vorgesetzten der Abgeordneten. Einen anderen Vorgesetzten indes haben Abgeordnete nicht.
Mir liegt die Vorstellung fern, dass es dem Parlament nützte, wenn sich seine Mitglieder bloß als seine Bediensteten verstünden. Im Gegenteil: Der Unternehmergeist von Abgeordneten befruchtet die parlamentarische Debatte. Abgeordnete müssen wissen, dass es am Ende an ihnen selbst liegt - an niemandem sonst. Eine höhere Ebene, eine andere Instanz, auf die Entscheidungen delegiert werden könnten, beide gibt es nicht. Der Unternehmergeist verweist auf die Verantwortung der Mandatsträger - die Verantwortung für das Ganze des Staates. Ein Angestelltenvertrag würde von diesem Zusammenhang fortweisen.
Immer wieder heißt es, der Bundestag sei zu wenig selbstbewusst. Ich glaube, dass das falsch ist. Der Bundestag ist ein außerordentlich selbstbewusstes, übrigens auch einflussreiches Parlament. Das Parlament jedoch abhängiger und weisungsunterworfener Abgeordneter, das Sie mit einem Angestelltenvertrag schaffen würden, wäre nur noch ein Zerrbild davon. Niemand kann das wollen.
Es grüßt Sie freundlich
Otto Fricke, MdB