Frage an Otto Fricke von Dieter F. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Fricke,
da Sie der haushaltspolitische Sprecher der FDP im deutschen Bundestag sind, werden Sie mit dem Sachverhalt der BVerG-Entscheidung vom 12.09.2012 sicher detailliert vertraut sein.
Der Zweite Senat des BVerfG forderte mit seiner Entscheidung, die völkerrechtliche Sicherstellung
a) der Haftungsbeschränkung für sämtliche Zahlungsverpflichtungen der BRD auf 190.024.800.000 Euro, welche nur mit Zustimmung des deutschen Vertreters in den ESM-Gremien zu höheren Zahlungsverpflichtungen führen darf.
b) dass die Unverletzlichkeit der Unterlagen und die Schweigepflicht der für den ESM tätigen Personen einer umfassenden Unterrichtung des Bundestages nicht im Wege stehen darf.
In beiden Fällen muss seitens der BRD zum Ausdruck kommen, dass man insgesamt nicht an den ESM-Vertrag gebunden sei, wenn die geltend gemachten Vorbehalte unwirksam sein sollten.
Wie wurde die völkerrechtliche Sicherstellung der BVerfG-Auflagen umgesetzt?
Welche ESM-Vertragsunterlagen wurden von Bundespräsident Gauck an welcher Stelle unterschrieben?
Wodurch ist das Einverständnis der restlichen ESM-Mitglieder zu den Auflagen des BVerfG dokumentiert und völkerrechtlich sichergestellt?
Herzlichen Dank für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Dieter Fritsch
Sehr geehrter Herr Fritsch,
die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes erfolgte im Wege einer völkerrechtlichen Auslegungserklärung. Der Text dieser Erklärung lautet wie folgt:
"Die Vertreter der Vertragsparteien des am 2. Februar 2012 unterzeichneten Vertrags zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), die am 26. September 2012 in Brüssel zusammengetreten sind, vereinbaren folgende Auslegungserklärung: "Artikel 8 Absatz 5 des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (im Folgenden "Vertrag") begrenzt sämtliche Zahlungsverpflichtungen der ESM-Mitglieder aus dem Vertrag in dem Sinne, dass keine Vorschrift des Vertrags so ausgelegt werden kann, dass sie ohne vorherige Zustimmung des Vertreters des Mitglieds und Berücksichtigung der nationalen Verfahren zu einer Zahlungsverpflichtung führt, die den Anteil am genehmigten Stammkapital des jeweiligen ESM-Mitglieds gemäß der Festlegung in Anhang II des Vertrags übersteigt. Artikel 32 Absatz 5, Artikel 34 und Artikel 35 Absatz 1 des Vertrages stehen der umfassenden Unterrichtung der nationalen Parlamente gemäß den nationalen Vorschriften nicht entgegen. Die oben genannten Punkte stellen eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der vertragschließenden Staaten dar, durch die Bestimmungen des Vertrags gebunden zu sein."
Mit dieser Erklärung wird die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Auslegung in beiden genannten Punkten bestätigt und zudem deutlich gemacht, dass diese Auslegung für die Bundesrepublik Deutschland wie auch für unsere Vertragspartner eine wesentliche Grundlage dafür darstellt, an den ESM-Vertrag gebunden zu sein.
Am 26. September 2012 ist diese Erklärung vom Bundeskabinett gebilligt und im Anschluss daran völkerrechtlich bindend von den Vertragsstaaten angenommen worden. Sodann ist sie von dem Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union als Depositar des ESM-Vertrags notifiziert worden.
Deutschland hat bei der anschließenden Hinterlegung seiner Ratifizierungsurkunde darüber hinaus in einer weiteren einseitigen Erklärung auf die gemeinsame Erklärung noch einmal Bezug genommen. Damit ist diese Erklärung eine verbindliche, vertragsbezogene Erklärung im Sinne der Wiener Vertragsrechtkonvention, die zur Auslegung des ESM-Vertrags heranzuziehen ist.
Da mit der Erklärung lediglich der Inhalt des ESM-Vertrags klargestellt wird und sich die vorgenommene Fassung vollständig im Rahmen der stets von Bundesregierung und Bundestag vertretenden Auslegung bewegt und diese bestätigt, stellt sie keine Änderung des ESM-Vertrags dar und löst daher für Bundestag und Bundesrat auch keine erneute Zustimmungs- oder Ratifizierungserfordernisse aus.
Das ESM-Ratifizierungsgesetz ist daraufhin vom Bundespräsidenten unterzeichnet worden.
In der Hoffnung, Ihre Fragen damit beantwortet zu haben, verbleibe ich
Mit freundlichen Grüßen
Otto Fricke