Frage an Otto Fricke von Klaus-Roland M. bezüglich Staat und Verwaltung
Sehr geehrter Herr Fricke,
warum hat diese Regierung die UN-Konvention gegen Korruption nicht ratifiziert?
Wir sagen dadurch jedem, bei uns gibt es etwas zu verheimlichen und stellen uns mit Syrien usw. auf eine Stufe.
Oder nimmt man Rücksicht auf die Lobbyisten und Klientel ?
Mit freundlichem Gruß
Klaus-R. Matella
Sehr geehrter Herr Matella,
vielen Dank für Ihre Frage zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Korruption. Sie sprechen damit ein ausgesprochen komplexes Thema an, mit dem sich der Deutsche Bundestag parteiübergreifend und in den unterschiedlichsten Mehrheitskonstellationen bereits seit Oktober 2003 beschäftigt. Es ist also keineswegs nur die schwarz-gelbe Regierungsmehrheit im Parlament gewesen, die den Vertrag nicht ratifiziert hat. Auch zu Zeiten von rot-grün und der großen Koalition konnte keine Lösung dafür gefunden werden. Worin dies begründet ist, lege ich Ihnen gerne dar.
Das ursprüngliche und lobenswerte Ziel der UN-Konvention ist - wie ihr Name schon sagt - die Bestrafung unterschiedlicher Formen von Korruption gegenüber Amtsträgern. In Deutschland ist dieser Sachverhalt seit 1994 als Straftat in Paragraph 108e des Strafgesetzbuches geregelt. Darin heißt es:
(1) Wer es unternimmt, für eine Wahl oder Abstimmung im Europäischen Parlament oder in einer Volksvertretung des Bundes, der Länder, Gemeinden oder Gemeindeverbände eine Stimme zu kaufen oder zu verkaufen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wegen einer Straftat nach Absatz 1 kann das Gericht die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen.
Problematisch ist dabei schon heute das Verhältnis zwischen der Indemnität der Abgeordneten - also ihrer grundgesetzlich zugesicherten Freistellung von strafrechtlicher Verfolgung zur freien Ausübung ihres Mandates - und dem Tatbestand des Verkaufens der eigenen Stimme. Allgemein wird bisher jedoch argumentiert, dass das grundgesetzliche Schutzprivileg durch den tatsächlichen Stimmenverkauf überschritten wird. Sprich: Stimmenkauf und -verkauf sind strafbar. Eine Regelung, die ich als Abgeordneter ausdrücklich begrüße.
Übrigens: Obwohl es im eigentlichen Gesetzestext nur um Wahlen oder Abstimmungen geht, fällt nach bisheriger Rechtssprechung auch die Arbeit in Ausschüssen und Kommissionen mit unter den Straftatbestand. Fast der gesamte parlamentarische Prozess wird also bereits heute durch die bestehende Gesetzeslage reguliert und kontrolliert. Es ist daher nicht so, als wären Abgeordnetenbestechung und Korruption in Deutschland bisher an der Tagesordnung und würden strafrechtlich nicht verfolgt werden können. Eine wichtige Tatsache, die meiner Ansicht nach in der bisherigen Debatte viel zu selten dargestellt und anerkannt wird.
Im Zusammenhang mit der UN-Konvention gegen Korruption soll die bisherige Rechtslage nun weiter verschärft werden. In meinen Augen unverhältnismäßig weit, da alle bisher vorgeschlagenen Gesetzesentwürfe der deutschen Rechtstradition, in der strikt zwischen weisungsgebundenen Amts- und gewählten Mandatsträgern getrennt wird, nicht gerecht werden.
Abgeordnete sind in Deutschland bei der Ausübung ihres Mandates einzig und allein ihrem Gewissen unterworfen und den Wählern gegenüber verantwortlich. Das ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie, den ich durch eine zu undifferenzierte Umsetzung der UN-Konvention gefährdet sehe. Gewählte Abgeordnete sind Repräsentanten der Interessen ihrer Wähler. Diese Interessen können und sollten in einem pluralistischen Staat auch Partikularinteressen sein. Erst die umfassende Abbildung unterschiedlicher Partikularinteressen im Parlament ermöglicht schließlich das Finden von Kompromissen, in denen die unterschiedlichsten Perspektiven und Anforderungen berücksichtigt werden. Ohne die Berücksichtigung von Interessen bestimmter Personengruppen, so meine feste Überzeugung, wird sich die Qualität von Politik insgesamt verschlechtern, da kein Bürger mehr wirklich repräsentiert wird und niemand mehr mit eigenen Anliegen an die Politik heran treten könnte.
Genau diesem Grundsatz laufen alle bisher vorgeschlagenen Gesetzesregelungen jedoch zuwider. Statt zwischen Abgeordneten- und Beamtenbestechung weiterhin zu differenzieren, wie es in Deutschland bisher üblich war, werden beide Tatbestände miteinander vermengt. Das ist ein Vorgang, den ich - selbst wenn er in anderen Staaten offenbar teils weniger problematisch gesehen wird - nicht mittragen kann.
Lassen Sie mich konkreter werden. Einer der aktuellsten Vorschläge zur Regelung von Abgeordnetenbestechung kommt von meinen Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Bundestags Drucksache 17/5933). Darin heißt es
"Wer als Mitglied einer Volksvertretung (...) einen rechtswidrigen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass der in Ausübung seines Mandates (...) eine Handlung zur Durchsetzung oder Vertretung der Interessen des Leistenden oder eines Dritten vornehme oder unterlasse, wird mit Freiheitsstrafe (...) oder Geldstrafe bestraft."
Weiterhin heißt es dann: "Ein rechtwidriger Vorteil liegt vor, wenn seine Verknüpfung mit der Gegenleistung als verwerflich anzusehen ist." Spätestens hier sollte deutlich sein, wie problematisch derartige Regelungen anzusehen sind. Schließlich handelt es sich bei Verwerflichkeit um einen unbestimmten Rechtbegriff, der im Gesetzesentwurf auch nicht näher spezifiziert wird. Er bietet daher extrem breiten Interpretationsspielraum und schränkt deshalb die freie Ausübung des Mandates deutlich ein. Außerdem geht es nicht mehr nur um den Kauf oder Verkauf von Stimmen, sondern ganz grundsätzlich um Gegenleistungen eines Dritten. Doch was sind derartige Gegenleistungen? Ist es schon das Versprechen, dass ein Verband, dessen Interessen ein Abgeordneter berücksichtigt, ideelle und politische Unterstützung zusichert? Wie wäre es dann bei Gewerkschaften und Umweltverbänden, mit denen ein Abgeordneter in Kontakt steht und deren Positionen er teilt? Darf er sich überhaupt noch mit Interessenvertretern wie Gewerkschaftlern oder Umweltschützern zum Gedankenaustausch beim Mittagessen treffen, um zu erfahren, was aus ihrer Sicht politisch relevant ist, oder gilt schon dies als Gegenleistung für einen rechtswidrigen Vorteil? Sie sehen: Die durch die derzeitigen Vorschläge aufgeworfenen Fragen sind tiefgreifend und berühren teils den Wesensgehalt unserer repräsentativen Demokratie. Sie sind deshalb alles andere als einfach zu lösen. Eine Einschätzung, die meines Wissen nach übrigens von Kollegen aller Fraktionen geteilt wird.
Lassen Sie mich abschließend und zur Illustration noch ein sehr konkretes Beispiel geben: In meinem Krefelder Wahlkreis wohne ich in unmittelbarer Nähe zur Bundesautobahn 57. Eine stark frequentierte Transitachse zwischen Köln und den Niederlanden. Schon lange steht hier zur Diskussion, dass die Autobahn auf Krefelder Stadtgebiet sechsspurig ausgebaut werden soll. Da sie jedoch direkt durch Wohngebiet führt, ist Lärmschutz dabei von großer Bedeutung und ein wahres Politikum. Als Vertreter meines Wahlkreises setze ich mich deshalb in Berlin selbstverständlich bereits seit Jahren dafür ein, dass möglichst effektive Lärmschutzmaßnahmen realisiert werden. Eine Forderung, die auch die zahlreichen Bürgervereine unterstützen und mit denen ich deshalb in regem Austausch stehe.
Angenommen, aufgrund meines Einsatzes für möglichst guten Lärmschutz - der zweifelsfrei im Interesse zahlreicher Krefelderinnen und Krefelder, aber ebenso auch in meinem persönlichen ist - verspricht mir nun einer der Bürgervereine, einen Wahlaufruf zu meinen Gunsten zu verkünden. Wäre dies dann bereits ein rechtswidriger Vorteil? Wäre es als verwerflich anzusehen, wenn ich mich weiterhin für Lärmschutz einsetze? Und wenn nein, warum nicht? Schließlich würde ich ja auch privat davon profitieren.
Die bisherigen Gesetzesvorschläge sorgen allesamt dafür, dass Interessenvertretung und -wahrnehmung im Parlament schwierig bis unmöglich wird. Doch genau dies macht den Kern politischer Arbeit aus. Daher kann ich nur nochmals betonen: Alle bisherigen Entwürfe sind aus meiner Sicht nicht verantwortbar und es ist gut, dass sie abgelehnt wurden.
Das bedeutet aber freilich nicht, dass der Beratungsprozess im Parlament nicht noch andauert. Zwischen den Fraktionen werden derzeit intensive Gespräche geführt, um eine angemessene Ratifikation der UN-Konvention doch noch möglich zu machen. Einige interessante Vorschläge liegen dazu auf dem Tisch und ich hoffe, dass wir eine adäquate Lösung finden werden. Allerdings gilt hier stets: Gründlichkeit ist wichtiger als Schnelligkeit.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen deutlich machen, dass es sehr stichhaltige Argumente gegen die Ratifikation der UN-Konvention gegen Korruption gibt. Eine Tatsache, die übrigens nicht nur von Staaten wir Saudi Arabien oder Syrien sehen, sondern die auch hoch entwickelte und demokratische Industrieländer wie Japan, Tschechien und Neuseeland ähnlich betrachten. Der Deutsche Bundestag ist also keineswegs allein mit seiner kritischen Würdigung dieser internationalen Regelungen. Den Vergleich mit Extrembeispielen halte ich daher für wenig zielführend. Schließlich ist der deutsche Rechtsstaat keineswegs mit Ländern wie Saudi Arabien, Sudan oder Nordkorea vergleichbar. Ich bin sicher, dass sehen Sie genauso.
Es grüßt Sie herzlich aus Berlin
Ihr Otto Fricke