Frage an Otto Fricke von Manfred B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Fricke,
in einer Frage vom 01.09.10 stellte Herr Gehrmann einen Zusammenhang zwischen befristeten Arbeitsverhältnissen und Demographie-Entwicklung her.
Sie antworteten folgendermaßen:
"Was die Frage der Demographie angeht, so glaube ich nicht, dass sich unsere Bevölkerungsentwicklung in großem Maße von befristeten Arbeitsverhältnissen abhängt. Wir alle werden uns in Zukunft darauf einstellen müssen, dass die klassische Erwerbsbiographie mit Anstellung in einem einzigen Unternehmen der Vergangenheit angehört. Vielmehr müssen wir damit rechnen viele unterschiedliche Tätigkeiten in einer Vielzahl von Unternehmen auszuüben. Das sehe ich aber nicht als Nachteil, sondern als Chance zur Verbesserung der eigenen Situation und zum Sammeln von Lebenserfahrung."
Super, eine wunderbare theoretische Formulierung, die aber keine Antwort ist auf die gestellte Frage.
Aus persönlicher Erfahrung kann ich Ihnen sagen, ich würde es nicht wagen Kinder in die Welt zu setzen, wo ich nicht weiß ob ich morgen noch einen adäquaten Job habe und möglicherweise vom Jobcenter in die nächste Befristung gezwungen werde, zu Billigstlohn und 2 Stunden vom Wohnort entfernt.
Ich frage Sie nun:
1. Worauf stützt sich Ihr Glaube, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen Kinderlosigkeit einerseits und befristeter Erwerbsarbeit/Zeitarbeit andererseits?
2. Gibt es eine represäntative Umfrage unter der Generation Praktikum/befristeter Arbeitnehmer/ Zeitarbeiter zum Thema Familienplanung?
3. Wie begegnen Sie der ab Frühjahr 2011 geltenden Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus osteuropäischen EU-Ländern, die dann ihre Billig-Zeitarbeiter zu den Bedingungen ihres Heimatlandes, bspw. Polen und Tschechien, zu uns nach Deutschland schicken?
Wollen Sie die deutschen Arbeitnehmer schützen oder müssen wir zukünftig mit noch niedrigeren Löhnen konkurrieren und auf diese Weise "Lebenserfahrung sammeln" ?
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Burger
Sehr geehrter Herr Burger,
vielen Dank für Ihre Anfrage und den Verweis auf die Frage von Herrn Gehrmann.
Ich habe Verständnis, dass Sie sich um Ihre berufliche, als auch private Zukunft sorgen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat nicht nur Sie, sondern auch mich schwer beunruhigt. Dennoch hat Deutschland durch gute politische Entscheidungen, die enormen Anstrengungen der Tarifparteien und letztlich durch die Leistungen aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Unternehmer schnell den Weg aus der Krise gefunden. Die Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer war in Deutschland lange nicht so gut wie derzeit. Die Arbeitslosenquote ist im November noch einmal gesunken und liegt nun mit 7 Prozent und etwa 2,9 Mio. Arbeitslosen auf einem historisch niedrigen Stand. Die Koalition wird in den kommenden Jahren vor allen Dingen die Sozialsystem in der Weise reformieren, dass Arbeit in Deutschland bezahlbar bleibt und noch mehr Menschen vom Aufschwung profitieren.
Befristete Arbeitsverhältnisse haben verschiedene Effekte und sollten nicht zur Regel werden oder für Berufstätige von Dauer sein. Natürlich kann der Einzelne seine Situation als ungerecht empfinden, wenn die eigene Erwartungsenttäuschung größer ausfällt, als die von anderen. Trotzdem möchte ich auf eine Studie der IHK Hannover ( http://www.hannover.ihk.de/presse/positionen/ihk-studie-zur-zeitarbeit.html ) hinweisen, die ausdrücklich die gesamtgesellschaftlichen Chancen durch Zeitarbeit hervorhebt.
So gehen mit Zeitarbeit "positive Wachstums- und Beschäftigungseffekte einher". Auch gelingt es Arbeitnehmern über den Umweg der Zeitarbeit in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis. "Gerade für Arbeitslose bietet Zeitarbeit deshalb eine nicht zu vernachlässigende Perspektive." Erfreulich ist, dass bis auf wenige Ausnahmen Zeitarbeiter tariflich oder übertariflich bezahlt werden. Als FDP halten wir hier an dem Konzept des "Equal Pay" - also der gleichen Bezahlung in einem Betrieb fest. Hier vertraut die FDP auf die gute Zusammenarbeit der Tarifparteien.
Um Ihre ersten beiden Fragen zu beantworten: Ja, es gibt vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) eine Studie ( http://www.wzb.eu/ ), die sich u.a. mit den befristeten Beschäftigungsverhältnissen und den Konsequenzen daraus beschäftigt. Es ist also nicht mein Glaube, der hier eine Rolle spielt, sondern, und darauf verlasse ich mich als Haushälter besonders gerne, die Zahlen, die mich zu meinen Antworten führen.
In Deutschland haben etwa zehn Prozent der Arbeitnehmer befristete Arbeitsverhältnisse. Diese Zahl ist ziemlich konstant, auch wenn sich eine leichte Zunahme der Befristungen feststellen lässt. Wie die Studie vom WZB weiter ausführt gibt es keine Zusammenhänge zwischen befristeten Arbeitsverhältnissen und Familienplanung. Dass Arbeitslosigkeit einen negativen Effekt auf die Familienplanung haben kann, trifft zu. Mit den konstant und nachhaltig sinkenden Arbeitslosenzahlen arbeiten wir in Deutschland an einer Trendumkehr.
Kinderlosigkeit ist vielfältig begründet: Das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung weist in einer Studie ( http://www.berlin-institut.org/studien.html ) auf verschiedene Aspekte hin. Z.B. lassen sich immer noch Erwerbstätigkeit und Familie vergleichsweise schlecht miteinander vereinbaren. Hier arbeitet die Koalition mit Nachdruck an einer Korrektur. So wurden im Kinderförderungsgesetz die Qualität der Betreuung von Kleinkindern verbessert. Auch wird es ab 2013 einen verbindlichen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung geben.
Die Sorge, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer aus osteuropäischen EU-Ländern zu Verwerfungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt führen wird, hört sich zunächst (fast) einleuchtend an. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle aber auch hier die Angst vor einer sog. "Billig-Konkurrenz" nehmen. Es wird sicherlich eine begrenzte Anzahl von Arbeitnehmern aus Ländern wir Polen oder Tschechien geben, die in Deutschland eine Arbeitsstelle suchen. Aber und wir sollten das nicht vergessen: Freizügigkeit der Personen ist eine der im Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten (Artikel 39 des EG-Vertrags) und ebenfalls ein wichtiges Element der europäischen Staatsbürgerschaft. Deutschland nutzt bereits seit Jahren die verlängerten Übergangsfristen für die osteuropäischen Staaten, die z.T. auch erst 2014 auslaufen. Vor dem Hintergrund eines starken demografischen Wandels, der mit einem Personalmangel in bestimmten Bereichen, wie der Pflege einhergeht, tendiere ich jedoch dazu, Zuwanderung auch als Chance zu begreifen. Um unsere Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit und damit Wohlstand und Wachstum zu erhalten, benötigen wir gut ausgebildete und motivierte Fachkräfte. Ich glaube, dass wir der Herausforderung sowohl durch eine verstärkte Weiterbildung von einheimischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber halt auch durch eine gezielte und interessensgeleitete Zuwanderung begegnen sollten.
Für Ihre berufliche und private Zukunft wünsche ich Ihnen viel Kraft, Erfolg und Glück.
Mit freundlichen Grüßen
Otto Fricke