Frage an Otto Fricke von André M. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Fricke,
vielen Dank für Ihre Antwort vom 13. August auf meine Frage vom 2. Juli.
Wenn eine bedarfsorientiertere und damit gerechtere Verteilung staatlicher Familienhilfeleistungen tatsächlich nur ein verfassungsrechtliches Problem ist und nicht am fehlenden politischen Willen scheitert, sollte man das nicht lösen können? Das Grundgesetz wurde schon für meines Erachtens weit unwichtigere Dinge geändert, und die SPD ist sicher gern bereit, gemeinsam mit den Regierungskoalitionen eine Verfassungsänderung zugusten von mehr Verteilungsgerechtigkeit mitzutragen.
Könnten Sie bitte kurz erläutern, warum dieser Weg nicht gegangen wird?
Mit freundlichen Grüßen,
André Meyer
Sehr geehrter Herr Meyer,
wie Sie meiner Antwort entnehmen konnten, hängt die derzeitige Gestaltung der Regelungen zum Kindergeld und zum Kinderfreibetrag insbesondere mit dem in Artikel 3 des Grundgesetzes formulierten Gleichheitsgrundsatz und dem in Artikel 6 festgelegten Familienschutz zusammen. Beide Artikel sind essenzielle Bestandteile des Menschen- und Bürgerrechtskatalogs in den ersten 19 Artikeln unserer Verfassung und wurden seit deren Ausarbeitung durch den Parlamentarischen Rat 1949 nur sehr selten verändert.
Das muss meiner Meinung nach auch so bleiben, selbst wenn wir dafür in Kauf nehmen müssen, dass Kindergeld bzw. Kinderfreibetrag auch weiterhin allen Einkommensgruppen zu Gute kommen müssen und sich nicht nach der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern, sondern nach dem Existenzminimum des Kindes richten. Schließlich stellen sowohl der Gleichheitsgrundsatz, als auch der Familienschutz eine große Errungenschaft des liberalen und demokratischen Staates dar, die es unbedingt zu erhalten gilt.
Ich denke, dass Sie mir hier ganz sicher zustimmen werden, wenn Sie sich einmal überlegen, welche Konsequenzen beispielsweise mit der Abschaffung bzw. Einschränkung des Gleichheitsgrundsatzes verbunden wären. Standards, die wir heute als sicher und selbstverständlich ansehen, wie etwa die Gleichbehandlung vor dem Gesetz, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie das Diskriminierungsverbot wegen Rasse, Glauben, Herkunft oder Abstammung, würden so ihre verfassungsmäßige Grundlage verlieren.
Formal ausgedrückt, würden wir damit eine der allgemeinen rechtsstaatlichen Grundnormen der gesamten Rechtsprechung abschaffen. Da Menschenwürde und Freiheit jedem Menschen zukommen, die Menschen insoweit also gleich sind, ist das Prinzip der Gleichbehandlung Aller ein tragendes Konstitutionsprinzip, das eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindert und in seinen Grundelementen auch nach Artikel 79 Absatz 3 unantastbar ist. Weiterhin erklären sie, dass die unterschiedliche rechtliche Behandlung nur solcher tatsächlicher Verschiedenheiten zulässig ist, aus denen aus Erwägungen der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit auch für das Recht unterscheidende Bedeutung zukommt. Die Gleichbehandlung in diesem Sinne macht den Kern des Grundrechtecharakters aus, was auch das Bundesverfassungsgericht in vielen seiner Urteile schon bestätigt hat.
Ich denke, es sollte klar geworden sein, wieso eine derartige Verfassungsänderung einzig und allein aus Gründen finanzieller Vorteilnahme für den Staat nicht gerechtfertigt sein kann. Es stünden Werte, Prinzipien und Normen auf dem Spiel, die unsere Gesellschaft grundlegend prägen und festigen. Daher bezweifle ich auch, dass Union und SPD einer solchen Verfassungsänderung zustimmen würden.
Es grüßt sie freundlich aus Berlin
Ihr Otto Fricke, MdB