Frage an Oliver Wittke von Siegfried S. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Herr Wittke,
aufgrund des von rot/grün eingeführten Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) wurden die vor Einführung des Gesetzes beitragsfreien Auszahlungen aus Kapitallebensversicherungen ( hier Direktversicherung ) ohne Bestandsschutz der Altverträge kurzerhand den Betriebsrenten und Versorgungsbezügen gleichgestellt! Rund 18 Prozent der Auszahlungssumme (Kapitalzahlung ) werden bei Fälligkeit und in der Regel parallel zum Renteneintritt über einen Zeitraum von 10 Jahren und im Rahmen einer nachgelagerten Verbeitragung (KV und Pfl.-Versicherung ) abgezogen! Dabei werden die monatlichen Beiträge - je nach Beitragsentwicklung - auch noch dynamisiert! (aus z.B. 60 Euro werden im Laufe der Zeit 65 Euro mtl. )
Ich empfinde diese nachgelagerte Verbeitragung als zutiefst ungerecht, sie steht übrigens auch gegen das politische Ziel aller Parteien, dass sich die Arbeitnehmer zusätzlich zu ihrer zu erwartenden Rente absichern sollen ! Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz wurde für den Bereich der Privatversicherten gebrochen, sie zahlen weder Beiträge zur Betriebsrente, noch auf betrieblich abgeschlossene Verträge ! Sehen sie als Abgeordneter eine Möglichkeit - dieses Thema erneut im Deutschen Bundestag einzubringen um diese Ungerechtigkeit durch eine Gesetzesnovelle abzustellen !?
Mit freundlichen Grüßen
Siegfried Schmitz
Sehr geehrter Herr Schmitz,
vielen Dank für Ihre Frage vom 30. November. Ich nehme dazu gerne Stellung.
Ihre Kritik an der Verbeitragung von Versorgungsbezügen aus der betrieblichen Altersvorsorge teile ich nicht. Wiederkehrende Versorgungsbezüge aus der betrieblichen Altersvorsorge pflichtversicherter Rentner unterliegen seit 1983 der Beitragspflicht. Bei freiwillig Versicherten werden Einkommen aus der betrieblichen Altersvorsorge insoweit der Beitragspflicht unterworfen, als dass sie in die Betrachtung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Mitglieds als zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehende Einnahmen einfließen.
Bei pflichtversicherten Rentnern wurde bis zum 31. Dezember 2003 nur der halbe allgemeine Beitragssatz erhoben. Bei freiwillig versicherten Rentnern wurde seit dem 01. Januar 1993 der volle Beitragssatz erhoben, soweit sie nicht von einer Besitzstandsklausel profitierten, aufgrund derer nur der ermäßigte Beitragssatz erhoben wurde. Gegen diese Ungleichbehandlung bestanden von Seiten des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtliche Bedenken.
Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurde im Jahr 2003 die bestehende Ungleichbehandlung von freiwillig Versicherten und Pflichtversicherten beendet. Seit dem 1. Januar 2004 wird einheitlich der volle Beitragssatz angewendet. Zudem wurde eine weitere Ungerechtigkeit beseitigt, indem nunmehr auch auf eine einmalige Auszahlung einer Kapitalabfindung Beiträge zur Krankenversicherung erhoben werden.
Grundsätzlich dient die Verbeitragung von Versorgungsbezügen der Stärkung der Beitragsgerechtigkeit und der Solidarität. Eine niedrige Rente bedeutet keineswegs eine entsprechend geringe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Sie hat sich auch an weiteren Einkünften aus einer früheren beruflichen Betätigung, die der Sicherstellung der Altersversorgung diente, zu orientieren. Es ist gegenüber den übrigen Beitragszahlern ungerecht, wenn ein Rentner aufgrund von Beiträgen, die allein nach seiner niedrigen Rente bemessen und daher gering sind, in den vollen Genuss der Vorteile der Krankenversicherung kommt, während seine weiteren beschäftigungsbezogenen Einnahmen, die beträchtlich sein und seine eigentliche Lebensgrundlage bilden können, außer Betracht bleiben. Unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit ist zu vermeiden, dass die in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Kassenmitglieder den Krankenversicherungsschutz auch solcher Rentner mittragen, die sich mit ihren gesamten Einnahmen zur Altersversorgung möglicherweise in einer besseren wirtschaftlichen Lage befinden als der Durchschnitt dieser „aktiven“ Mitglieder.
Die Anwendung des vollen allgemeinen Beitragssatzes auf Betriebsrenten und Versorgungsbezüge im Rahmen des GKV-Modernisierungsgesetzes im Jahr 2003 ist damit begründet worden, dass die eigenen Beitragszahlungen der Rentner nur noch gut 43 Prozent ihrer Leistungsausgaben in der Krankenversicherung abdeckten. Im Jahr 1973 seien die Leistungsaufwendungen der Krankenkassen für Rentner in den alten Ländern noch zu rund 72 Prozent durch die für sie gezahlten Beiträge gedeckt worden. Es war daher ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht noch höher werden zu lassen.
Eine Expertenanhörung des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag am 27. Januar 2016 hat gezeigt, dass ein Beibehalten der jetzigen gesetzlichen Regelung weiterhin notwendig ist.
Es wurde deutlich, dass wir ein Gesundheitswesen haben, das allen Versicherten eine moderne und gute Versorgung zur Verfügung stellt. Um dies auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des medizinischen Fortschritts zu gewährleisten, wird der heutigen Generation von Beitragszahlern aber ein größerer Solidarbeitrag für die heute älteren Versicherten abverlangt als den vorangegangen Generationen. Mit dem Blick auf die Generationengerechtigkeit kann ein noch größerer Solidarbeitrag, wie er bei einer Abschaffung der Beitragspflicht auf Betriebsrenten und Versorgungsbezüge zwangsläufig nötig wäre, nicht gerechtfertigt werden. Insbesondere nicht, da die älteren Versicherten heute aufgrund des medizinischen Fortschritts eine spürbar qualifiziertere Gesundheitsversorgung als die von ihnen mitfinanzierten vorangegangen Generationen erhalten. Und das, obwohl der Finanzierungsanteil der Rentner an den von ihnen verursachten Ausgaben - nach einem zwischenzeitlichen Anstieg – wieder auf jenes Niveau gesunken ist, aufgrund dessen die kritisierten Maßnahmen ergriffen wurden.
Im Rahmen der Anhörung kam auch der Aspekt der Doppelverbeitragung zur Sprache. Hierbei wurde deutlich, dass es zwar rein theoretisch die Möglichkeit für solche Fälle gibt, bisher hiervon aber nur eine geringe Zahl von Versorgungsberechtigten betroffen ist, weil eine Entgeltumwandlung in der Anwartschaftsphase nach § 1 Abs.2 Nr. 3 BetrAVG in Höhe von bis zu 4 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rente gemäß § 14 Abs. 1 S.2 SGB IV bei Direktzusage und Unterstützungskasse bzw. gem. § 1 Abs. 1 Nr. 9 SvEV bei Pensionskassen, Pensionsfonds und Direktversicherungen beitragsfrei bleibt.
Schließlich möchte ich noch auf den Aspekt des Vertrauensschutzes eingehen. Mit dem GMG wurden Veränderungen mit Wirkung für die Zukunft vorgenommen. Da das System der gesetzlichen Krankenversicherung bereits seit langem unter erheblichem Kostendruck steht und es daher auch immer wieder Bemühungen des Gesetzgebers auf Einnahmen- und Ausgabenseite gibt, auf diese Entwicklung zu reagieren, konnten Versicherte nicht auf den Fortbestand privilegierender Vorschriften vertrauen. Sie mussten und müssen ihren Beitrag zur Erhaltung der Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung leisten und damit jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für die Rentner entlasten. Dazu werden sie entsprechend ihres Einkommens verstärkt zur Finanzierung herangezogen. Vor diesem Hintergrund hat auch das Bundesverfassungsgericht keinen Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes erkennen können.
Aufgrund der dargelegten Begründung und der aktuellen und zu erwartenden Ein- und Ausgabesituation der Kranken- und Pflegeversicherung sehe ich derzeit keine Möglichkeit einer Änderung der derzeit geltenden Regelung.
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Wittke