Frage an Nils Schmid von Christoph W. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Schmid,
diese Woche soll entschieden werden, dass die Bundesländer Kompetenzen aufgrund der Corona-Pandemie abtreten. Dies ist im Grundgesetz nicht vorgesehen. Liest man z.B. bei Wikipedia unter "Förderalismus" nach, findet man Sätze wie "In der Bundesrepublik ist der Föderalismus durch Artikel 20 des Grundgesetzes ein Staatsstrukturprinzip und somit grundlegender Teil des politischen Systems. Die Ewigkeitsklausel legt fest, dass er unabänderlich festgeschrieben ist." oder "Auch keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit des Deutschen Bundestages und des Bundesrates darf die föderale Struktur und Organisation der Bundesrepublik aufheben."
Wie stehen Sie als Sozialdemokrat diesem - meiner Meinung nach demokratieschädlichen und beängstigenden - Ansatz gegenüber?
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Welker
Sehr geehrter Herr Welker,
danke für Ihre Frage, die ich gerne beantworte. Als ehemaliger Landtagsabgeordneter und Landesminister bin ich ein überzeugter Befürworter des Föderalismus. Insofern begrüße ich Ihr Plädoyer zugunsten unseres föderalen Staatsaufbaus ausdrücklich.
Im konkreten Fall teile ich Ihre Bedenken aber nicht. Grundsätzlich wäre es nach Ihrer Argumentation schwierig, überhaupt Bundesgesetze zu erlassen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben das jedoch klug geregelt (Art. 70 - 74 GG): In manchen Bereichen hat der Bund die Gesetzgebungskompetenz, in anderen Bereichen die Länder, und in etlichen Themengebieten gibt es die sogenannte "konkurrierende Gesetzgebung". Bei letzterer greifen Landesgesetze, wenn es kein entsprechendes Bundesgesetz gibt. Dazu zählt u.a. auch: "Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren (…)" (Art. 74 GG, Abs. 1, Ziffer 19). Es ist also ausdrücklich zulässig, dass der Bund hier eine vereinheitlichende Regelung erlässt.
Ich halte das auch für geboten. In den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass wir klare und eindeutige Regelungen brauchen, die für alle einfach nachvollziehbar sind. Überall dort, wo es hohe Fallzahlen gibt, müssen diese Regeln gelten. Die SPD-Regierungschefinnen und -chefs haben in ihren Ländern die zwischen Bund und Ländern vereinbarte „Notbremse“ umgesetzt. Leider waren nicht alle so konsequent.
Es gilt, die Überlastung der Intensivstationen zu vermeiden und Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte zu unterstützen, die seit Monaten unter den starken Belastungen leiden. Deshalb legen wir nun fest, welche Einschränkungen bei hohem Infektionsgeschehen gelten. Das sind keine einfachen Maßnahmen, aber sie sind im Interesse der Sache, um die es uns geht, nämlich die Gesundheit von uns allen zu schützen. Unterschreiten die Werte die festgelegten Grenzwerte, obliegt es weiterhin den Ländern, die Regeln auszugestalten. Und mit Beendigung der pandemischen Notlage, die wir hoffentlich mit Hilfe millionenfacher Impfungen in einigen Monaten erreicht haben werden, erlöschen auch die auf dieser Grundlage ergriffenen gesetzlichen Maßnahmen und Verordnungen.
Ich hoffe, dass wir diesen Zustand möglichst bald erreichen werden!
Mit freundlichen Grüßen
Nils Schmid