Frage an Nils Schmid von Dr. Lienhard W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Nils Schmid,
der Brexit geht uns alle an. Er ist kein innerbritisches Problem. Was tun die Sozialdemokraten (und was haben sie bisher getan?), um den Brexit abzuwenden?
Müßte man dazu nicht IM VEREINIGTEN KÖNIGREICH SELBER aktiv werden?
Wäre es im Internetzeitalter nicht sinnvoll, die britische Bevölkerung DIREKT anzusprechen?
Die britische Bevölkerung wird unter den Folgen leiden müssen, nicht die reichen Internatszöglinge, die sich an die Spitze der Brexit-Bewegung gesetzt haben. Wäre es daher nicht an der Zeit, der britischen Bevölkerung deutlich zu machen, was aus deutscher Sicht auf die Briten nach dem Brexit zukommt?
Politiker wie Boris Johnson und Nigel Farage sind reiche Spielertypen, die die Interessen der Superreichen vertreten. Die Brexit Hardliner schimpfen gern auf die Brüsseler Demokratie und auf den Verlust der Eigenständigkeit. Aber es geht ihnen um drei Dinge:
1. eine Wirtschaft mit niedrigen Löhnen,
2. niedrige Steuern für Unternehmen und um
3. Deregulierung all der Standards für Umwelt, Lebensmittel und Verbraucher, die Europa sich geschaffen hat.
Warum kommen Johnson und Farage so gut bei den Wählern an? Weil das Ziel dieser Hasardeure rein destruktiv ist, fällt es ihnen leicht, lustvoll, angstfrei und tabubrechend auftreten, was drei wichtige Zutaten jeder gelungenen Show sind.
Was also tun die Sozialdemokraten? Abwarten nach dem Prinzip „lieber nicht eimischen“? Ist das nicht ein bißchen wenig?
Sehr geehrter Herr W.,
danke für Ihre Nachricht.
Seit Ihrer Anfrage gab es einige weitreichende Entwicklungen rund um den Brexit. Im Folgenden werde ich mich deshalb auf die für uns heute relevantesten Punkte fokussieren und Ihnen dazu meine politische Position erklären.
Der 31. Januar 2020 war ein sehr trauriger Tag für Europa. Über dreieinhalb Jahre dauerte es, bis Großbritannien nach dem Votum für den Brexit die Europäische Union nun wirklich verlassen hat. Mit dem Austritt unserer britischen Freunde geht eine Ära zu Ende. Nach insgesamt 47 Jahren war Großbritannien ein bedeutendes Mitglied in der Staatengemeinschaft und ihren Vorgängerorganisationen. Der Ausgang des Referendums schmerzt noch heute. Er soll uns allen eine Mahnung dafür sein, wie gefährlich Populismus für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die europäische Einheit ist. Klar ist aber auch, dass die Abstimmung eine legitime demokratische Entscheidung war, die wir zu akzeptieren haben, ob sie uns gefällt oder nicht.
Doch es bleibt nicht viel Zeit für Trauer – denn ein großer Teil der harten Arbeit beginnt jetzt erst. Was nun ansteht, ist eine Übergangsphase, in der wir uns mit den Briten über unser zukünftiges Verhältnis einig werden müssen. Wir haben nun elf Monate Zeit, um einen Austrittsvertrag zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union zu schließen. Diese Zeit ist sehr knapp bemessen im Anbetracht der großen wirtschaftlichen Gefahr, die sowohl der EU als auch dem Vereinigten Königreich im Fall des Scheiterns der Verhandlungen droht.
Für uns in der SPD ist klar, dass Großbritannien ein enger Freund und Partner bleiben wird, mit dem uns auch in Zukunft viele Interessen und Werte verbinden werden. Ich plädiere deshalb dafür, dass die EU für die Zukunft eine sehr enge Bindung an Großbritannien anstreben sollte, sowohl wirtschaftlich als auch in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.
Dabei gilt aber: Großbritannien ist jetzt auch ein Wettbewerber für die EU-Wirtschaft. Es kann nicht sein, dass das Vereinigte Königreich sich nun durch Dumpingmaßnahmen und unfaire Wettbewerbsbedingungen einen Vorteil verschaffen will. Wir müssen unbedingt verhindern, dass es in Europa bei Arbeitnehmerrechten und Standards im Umweltbereich keinen Wettlauf nach unten gibt. Dafür müssen wir in der EU geschlossen bleiben. Bei den vergangenen Verhandlungen haben wir klar gesehen: wenn wir geeint auftreten, können wir uns erfolgreich für unsere Interessen und Werte einsetzen.
Unsere Außen- und Sicherheitspolitik werden wir weiterhin eng mit unseren britischen Freunden abstimmen. Davon profitieren beide Seiten. Wir brauchen beispielsweise auch weiterhin die große diplomatische Expertise der Briten. Für Großbritannien ist es einfacher, sich Gehör für Ihre Themen auf der internationalen Bühne zu verschaffen, wenn sie weiterhin auf die EU angewiesen sind.
Gerne möchte ich den Anlass nutzen, um Sie auf die neueste Folge meines Videoformats Auslandsgespräch hinweisen. Darin spreche ich ausführlich mit Christos Katsioulis, dem Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung London über den Brexit und die Zukunft von Labour. Hier der Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=R1V_ElAbu8Y
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Nils Schmid, MdB