Frage an Nils Schmid von Ottmar M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Herr Schmid,
„Erst wenn der Waffenstillstand in der Ostukraine endlich eingehalten werde, könne man auch über einen Ausstieg aus den Sanktionen nachdenken“ werden Sie am 18.8.18 im Tagesspiegel zitiert. Was hat der Waffenstillstand denn nun mit den Sanktionen zu tun? Im Abkommen Minsk II steht nichts, was Rußland da zu tun hätte! Hält das Kiewer Regime denn den Waffenstillstand ein und setzt die übrigen Festlegungen um? Der DLF berichtete am 20.8.18, daß die Ukraine nicht mal die schweren Waffen abgezogen hat! Warum werden also keine Sanktionen gegen die Ukraine verhängt, wenn die Minsk II nicht umsetzt? Ist Ihnen der Inhalt von Minsk II überhaupt bekannt? In der Frage von Dr. Rogall vom 30.4.18 (abgeordnetenwatch.de) behaupten Sie, „wir“ messen nicht mit zweierlei Maß. Warum, geht aus Ihrer Antwort allerdings nicht hervor. Denn warum werden z. Bsp. keine Sanktionen gegen Israel oder die Ukraine verhängt? Messen Sie also doch mit zweierlei Maß?
Weiterhin sprechen Sie von der „Destabilisierung der Ostukraine“ durch Rußland. Weshalb destabilisiert Rußland die Ostukraine, wenn sich dort die „prorussischen Separatisten“ gegen die „Antiterroroperation“ der ukrainischen Armee und diverse Freibataillone verteidigen? Wenn Rußland die Ostukraine „destabilisiert“, warum setzt das Kiewer Regime nicht einfach Minsk II um? Dort ist doch geregelt, wie die Ukraine die Kontrolle über die Grenze wieder erlangt! Sind Sie über die Details des Konfliktes überhaupt richtig informiert? War die Absetzung des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch 2014 verfassungsgemäß und demokatisch legitmiert und ist Ihnen dazu das Abstimmungsergebnis des Parlaments bekannt? "Wir hatten in der Ukraine - seit dieser Zeit - einen Deal für die Übergangsmacht vermittelt" http://cnnpressroom.blogs.cnn.com/2015/02/01/pres-obama-on-fareed-zakaria-gps-cnn-exclusive/ sagte US-Präsident Obama am 1.2.15. Diese Handlungen der USA u. diverser Nato-Staaten sind also kein Beitrag zur Destabilisierung der Ukraine?
Sehr geehrter Herr M.,
danke für Ihre Nachricht.
Zunächst möchte ich daran erinnern, warum es überhaupt die Sanktionen gegenüber Russland gibt: Russland hat 2014 völkerrechtswidrig die Krim annektiert und unterstützt separatistische Kräfte im Osten der Ukraine. Dadurch trägt Russland vorsätzlich zur Destabilisierung der Ukraine bei. Russland hat mit dieser aggressiven Außenpolitik leitende Prinzipien der europäischen Friedens-und Sicherheitsordnung – wie die Unverletzlichkeit von Grenzen und die Souveränität anderer Staaten – verletzt. Daraufhin wurden vom Westen gegenüber Russland Sanktionen verhängt. Diese reichen von diplomatischen Maßnahmen über das Einfrieren von Vermögen bis zu Wirtschaftssanktionen. Die EU-Sanktionen werden alle sechs Monate mit Hinweis auf Russlands fehlende Erfüllung der Verpflichtungen, die das Land durch das Minsker Abkommen eingegangen ist, verlängert. Auch die Ukraine hat sich dazu verpflichtet, die Vereinbarungen von Minsk umzusetzen. Leider meldet die OSZE allerdings Waffenstillstandsverstöße auf beiden Seiten. Verstöße gibt es auch bei anderen Punkten, wie der von Ihnen angesprochene Abzug von schweren Waffen. Deshalb muss Druck aufgebaut werden, um beide Regierungen dazu zu bewegen, sich an die Vereinbarungen von Minsk zu halten. Doch bei aller berechtigter Kritik an der ukrainischen Regierung darf nicht vergessen werden, dass Russland die Krim annektiert hat und es keinen Waffenstillstand in der Ostukraine geben wird, solange die russische Seite die Separatisten weiterhin unterstützt. Sollte Russland substantielle Fortschritte bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen erzielen – und dazu zählt natürlich auch eine vollständige Umsetzung des Waffenstillstands – sind wir auch zum Abbau von Sanktionen bereit.
In Bezug auf Ihre Frage zur Absetzung von Janukowytsch verweise ich Sie gerne auf das Auswärtige Amt, das auf seiner Website die damaligen Vorgänge ausführlich dargestellt hat: „Nach der Gewalteskalation auf dem Maidan zeichnete Präsident Janukowytsch ein durch Vermittlung von Frankreich, Polen, Deutschland und Russland zustande gekommenes Memorandum zur friedlichen Beilegung der Krise. Nach der Zeichnung ist Präsident Janukowytsch in der Nacht vom 21. auf den 22. Februar 2014 aus Kiew geflohen. Auch die Mehrzahl der Minister hatte die Hauptstadt verlassen, sodass es keine handlungsfähige Regierung und kein handlungsfähiges Staatsoberhaupt gab. Parlamentssprecher Rybak legte sein Amt nieder. In dieser Situation stimmte das Parlament als de facto einzig handlungsfähiges und demokratisch legitimiertes Verfassungsorgan am 22. Februar 2014 mit 328 Stimmen ohne Gegenstimme dafür, Neuwahlen für das Präsidentenamt für den 25. Mai 2014 anzusetzen. Es enthob dabei den Präsidenten nicht durch ein förmliches Impeachment-Verfahren nach Art. 111 der Verfassung seines Amtes, sondern stellte den Staatsnotstand aufgrund von dessen Unfähigkeit zur Amtsausübung fest, da er sich „in verfassungswidriger Weise seinen Amtspflichten entzogen habe“. Eine solche Situation ist in der ukrainischen Verfassung nicht explizit geregelt, sodass das Parlament als de facto einzig handlungsfähiges Verfassungsorgan die Notlage in Analogie zu Art. 108 (2) der Verfassung, der die krankheitsbedingte Amtsunfähigkeit regelt, behob.“ (Link)
Zu guter Letzt möchte ich Sie auch noch auf das Positionspapier der SPD-Bundestagfraktion „Dialog – Vertrauen – Sicherheit. Voraussetzungen und Impulse für eine zeitgemäße sozialdemokratische Entspannungspolitik“ hinweisen (Link). Wenn Sie die Perspektive der SPD-Bundestagsfraktion bezüglich Russland besser verstehen möchten, ist dieses Papier sehr hilfreich. Darin zeigen wir auch auf, wie in der gegenwärtigen Situation durch mehr Kooperation verloren gegangenes Vertrauen zwischen Russland und dem Westen wieder hergestellt werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Nils Schmid