Frage an Nils Schmid von Matthias W. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Schmid,
mich interessiert wie Sie zum Abbau der Bahninfrastruktur stehen, aktuell zu lesen unter der Überschrift:
"Deutscher Städtetag schlägt Alarm - Die Deutsche Bahn hat mehr als 100 Bahnhöfe vom Fernverkehr abgehängt"
http://www.swr.de/report/presse/-/id=1197424/nid=1197424/did=9495706/1f9adxw/index.html
Heute Abend (27.03.) läuft in Report Mainz (ARD 21.45) dazu ein Beitrag.
Wieviele Bahnhöfe hätte die Bahn beibehalten können, wenn Stuttgart 21 nicht gebaut würde?
Was wäre aus Sicht der betroffenen Fahrgäste sinnvoller?
Sehr geehrter Herr Wagner,
danke für Ihre Anfrage, die ich im Namen von Herrn Schmid beantworte. Sie stellen einen Zusammenhang her, den es so nicht gibt. Das erkennen Sie leicht daran, dass der Abbau der Fernverkehrsverbindungen schon vor etlichen Jahren begonnen hat, Stuttgart 21 jedoch erst seit kurzer Zeit im Bau ist.
Ihre Frage ist insofern missverständlich, als Sie von "Abbau der Bahninfrastruktur" schreiben und fragen, wieviele "Bahnhöfe beibehalten" werden könnten ohne Stuttgart 21. Hier möchte ich klarstellen: Die Bahnhöfe werden zwar nicht mehr von Fernverkehrszügen bedient, aber nicht geschlossen. Es wird also nicht Infrastruktur abgebaut, sondern Leistungen gestrichen. Das macht die Sache natürlich nicht besser, ist aber ein wichtiger Unterschied.
Ziel der SPD ist, den Schienenverkehr zu stärken. Deshalb sind Verschlechterungen bei den Fernverkehrsverbindungen ein großes Ärgernis. Der Fernverkehr, um den es in dem Bericht des TV-Magazins "Report" ging, liegt in der Verantwortung der Deutschen Bahn AG bzw. des Bundes als deren Eigentümer. Bereits vor Jahren wurden mit der Abschaffung der Interregios Leistungen auf die Bundesländer abgewälzt, indem ersatzweise Nahverkehrszüge bestellt wurden. Gerne verweise ich in diesem Zusammenhang auf die Stellungnahme des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg, die auf der von Ihnen verlinkten Internetseite verfügbar ist:
http://www.swr.de/report/-/id=9498208/property=download/nid=233454/2iwwej/stellungnahme-baden-wuerttemberg.pdf
Neben dem Betrieb ist aber auch die stetige Verbesserung der Bahninfrastruktur wichtig, um den Schienenverkehr attraktiver zu machen. Das Bahnprojekt Stuttgart - Ulm, bestehend aus der weitgehend unstrittigen Neubaustrecke Wendlingen - Ulm sowie der Umgestaltung des Bahnknotens Stuttgart ("Stuttgart 21"), ist für Baden-Württemberg, seit der Neubaustrecke Mannheim - Stuttgart im letzten Jahrhundert und neben dem laufenden Ausbau der Rheintalbahn, das wichtigste Vorhaben zu diesem Zweck.
Deshalb beteiligen sich am Projekt der DB AG zudem das Land Baden-Württemberg, der Verband Region Stuttgart, die Landeshauptstadt Stuttgart sowie die Flughafen Stuttgart AG finanziell. Der Bund beteiligt sich ebenfalls: Zum einen mit Geldern, die nicht für den Fernverkehr verwendbar wären (Nahverkehrsmittel, Bestandsnetzmittel), zum anderen mit Mitteln, die auch ohne Stuttgart 21 fällig gewesen wären. Ich zitiere aus einer Antwort des Bundesverkehrsministeriums:
/"Der Bund übernimmt mit einem Festbetrag i. H. v. 563,8 Mio. Euro für das Projekt Stuttgart 21 den Anteil, der für die Einbindung der NBS Wendlingen--Ulm in den Knoten Stuttgart *auch ohne Verwirklichung von Stuttgart 21* erforderlich gewesen wäre."/ (Bundestags-Drucksache 17/7173; Hervorhebung vom Verf.)
Ähnliches gilt für die Deutsche Bahn AG: Ohne Stuttgart 21 entstünden Kosten für eine Modernisierung des bestehenden Hauptbahnhofes samt Gleisvorfeld in Höhe von über 1,3 Mrd. Euro (Kostenstand 2008): http://direktzu.de/stuttgart21/messages/28927 Dies entspricht in etwa dem Finanzierungsanteil der DB AG an Stuttgart 21.
Fazit: Ohne Stuttgart 21 stünden für den Schienenfernverkehr keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung. Dass die Bahn in erster Linie ertragsorientiert handelt, kann man kritisieren, unterliegt aber der Logik eines Wirtschaftsunternehmens. Der Bund ist hingegen aufgefordert seinem Verfassungsauftrag eines gemeinwohlorientierten Verkehrsangebots im Schienenverkehr nachzukommen. Das wäre im Interesse der Fahrgäste. Dass diese Diskussion jetzt öffentlich geführt wird, begrüßen wir ausdrücklich.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Wechsler
(wiss. Mitarbeiter)