Frage an Nils Schmid von Elisabeth M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Schmid,
Danke für Ihre rasche Reaktion auf meine Frage vom 15.5 – nur leider sind Sie meinen Fragen ausgewichen.
Sie haben geschrieben:
„Zum anderen bedeutet eine Volksabstimmung auch zu den bestehenden Voraussetzungen ein Mehr an Demokratie, denn die Alternative dazu hieße ja: Die geschlossenen Verträge werden erfüllt (d.h. Stuttgart 21 wird gebaut), ohne dass es eine weitere verbindliche Beteiligung der Bevölkerung gibt. Andere Vorschläge, wie z.B. eine rechtlich völlig unverbindliche Bürgerbefragung, wären juristisch von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Diese Art der Pseudobeteiligung, die letztlich (und zurecht) nur Frustration erzeugen würde, lehnen wir ab.“
Zum einen: Es gibt Alternativen zu einer Volksabstimmung nach Art. 60(3 und 5):
Z. B.: die Selbstverpflichtung der beiden Regierungsparteien, den kommenden Stuttgarter Bürgerentscheid zu respektieren und im Landtag entsprechend abszustimmen. Auch an eine rechtlich unverbindliche Bürgerbefragung können sich die Abgeordneten gebunden fühlen – sie müssen nur wollen.
Zum anderen: eine Volksabstimmung zu den bestehenden Voraussetzungen ist kein „Mehr an Demokratie“.
Es ist nicht demokratisch, dass durch das Zustimmungsquorum die Meinung der Nicht-Abstimmenden systematisch verfälscht wird, weil sie nicht als Enthaltung, sondern wie ein „Nein“ zählt.
Es ist nicht demokratisch, dass man zum Gewinnen einer Volksabstimmung mehr Stimmen braucht als zu einer Regierungsbildung.
Hier deshalb nochmals meine Fragen:
- Wo hat die SPD vor den Wahlen darauf hingewiesen, dass sie als Regierungspartei eine Volksabstimmung mit dem Quorum nach Art. 60 (5) der LV durchführen würde?
- Wie lässt sich eine Volkabstimmung mit Ein-Drittel-Zustimmungsquorum mit den Wahlversprechen der SPD auf „mehr direkte Demokratie“ und „faire Volksabstimmung“ zu S21 vereinbaren? http://volksabstimmung2011.de/s21/files/pdf/SPD_Erklaerung_Volksabstimmung.pdf
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Müller
Sehr geehrte Frau Müller,
gerne fassen wir die ausführliche Antwort von Herrn Minister Schmid noch einmal zusammen und erläutern einige Punkte, auf die Sie besonders Wert legen:
1. "Wo hat die SPD vor den Wahlen darauf hingewiesen, dass sie als Regierungspartei eine Volksabstimmung mit dem Quorum nach Art. 60 (5) der LV durchführen würde?"
Im Folgenden nennen wir Ihnen nur diejenigen Quellen, in denen wir ausdrücklich auf den Artikel 60 der Landesverfassung verwiesen haben:
* In einer Presskonferenz am 8. September 2010, die immer noch im Internet als Video nachzuschauen ist: http://www.volksabstimmung2011.de/s21/ (Die Pressekonferenz war Grundlage für eine ausführliche Berichterstattung in Presse, Fernsehen, Radio und Internet-Nachrichtendiensten, sodass auch interessierte Zeitungsleser und Fernsehzuschauer informiert wurden. Die Möglichkeiten nach der Landesverfassung waren dabei - nicht zuletzt wegen der ablehnenden Haltung der CDU/FDP-Landesregierung - ausführlich Gegenstand der medialen Analyse.)
* Auf der o.g. Sonderseite im Internet zu Stuttgart 21, die auch in zahlreichen Wahlkampfmedien, einschließlich der Internetseiten http://www.nils-schmid.de , http://www.spd-bw.de sowie http://www.WarumSPD.de mit einem markanten, gut sichtbaren Banner "Volksabstimmung - S 21 2011" verlinkt war.
* In einem Antrag der SPD, ebenfalls vom 8. September 2010, im Landtag von Baden-Württemberg, der für jeden erkennbar der konstruktive Vorschlag der SPD für eine Volksabstimmung war. In der Landtagsdebatte und in Pressekonferenzen haben Vertreter der SPD explizit darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass sich CDU und FDP diesem Vorschlag verweigern, es im Falle einer Regierungsbeteiligung der SPD zu einer erneuten Antragstellung kommen wird; ich verweise hier auf das Video von der Pressekonferenz mit dem Fraktionsvorsitzenden Claus Schmiedel und dem damaligen Generalsekretär Peter Friedrich auf der bereits genannten Internetseite http://www.volksabstimmung2011.de/s21/ (ab Minute 4:56).
2. "Wie lässt sich eine Volkabstimmung mit Ein-Drittel-Zustimmungsquorum mit den Wahlversprechen der SPD auf "mehr direkte Demokratie" und "faire Volksabstimmung" zu S21 vereinbaren?"
Unser Versprechen für mehr direkte Demokratie hat sich unmittelbar im Koalitionsvertrag niedergeschlagen (insbesondere nachzulesen auf S. 60-61) und wird Teil unseres Regierungshandelns sein. So werden wir u.a. dazu beitragen, dass der Fehler einer mangelhaften Bürgerbeteiligung bei Großprojekten in Zukunft vermieden wird.
Konkret im Fall von Stuttgart 21 gab es nur die Alternative: Entweder es wird - wie bereits auf parlamentarisch-demokratischem Weg genehmigt - gebaut, ohne weitere Beteiligung der Bürger/innen. Oder es gibt zusätzlich eine direkt-demokratische Abstimmung auf dem einzig gangbaren Weg über die Landesverfassung. Wir als SPD haben uns für letzteres eingesetzt und uns mit dem Koalitionspartner gemeinsam so entschieden. Diese Alternative bedeutet für die Bürgerinnen und Bürger die Chance, das letzte Wort über Stuttgart 21 zu sprechen. Das ist eindeutig ein "Mehr" an direkter Demokratie.
Die Variante einer Bürgerbefragung, die Sie ins Spiel bringen, ist eben nur scheinbar eine Alternative. Denn entscheidend ist nicht, ob die Abgeordneten des Landtags oder die Landesregierung ein Ergebnis anerkennen, sondern ob es rechtlich bindend ist. Das ist bei einer Bürgerbefragung nicht der Fall, die Vertragspartnerin Bahn hat deshalb seit längerem unmissverständlich klar gemacht, dass sie das Ergebnis einer Bürgerbefragung nicht anerkennen würde. Dafür hat sie gute Gründe, wirtschaftliche wie juristische.
Bestandteil der Demokratie ist auch das Rechtsstaatsprinzip. Rechtskräftig geschlossene Verträge, insbesondere durch hoheitliche Organe, genießen im demokratischen Rechtsstaat zurecht einen hohen Schutz. In der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 ist zudem eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen. Nur eine verfassungsgemäße, rechtlich unmittelbar bindende Volksabstimmung, die den Finanzierungsanteil des Landes an S21 ablehnte, könnte auch vor Gericht höher gewichtet werden als der Grundsatz des Vertrauensschutzes für den Vertragspartner. (Hierzu verweise ich auf die fundierten Stellungnahmen der Staatsrechtler Prof. Wieland und Prof. Hermes auf der Internetseite http://www.volksabstimmung2011.de/s21/ )
Abschließend möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass sich die SPD dafür einsetzt, dass das Quorum für Volksentscheide deutlich abgesenkt wird.
Mit freundlichen Grüßen
i.A. Michael Wechsler
(wissenschaftl. Mitarbeiter)