Frage an Nicole Schley von Claudia D. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Liebe Frau Nicole Schley,
auf ihrer Homepage geben Sie an, dass Sie sich im Landtag des Themas "Bayern in Europa" annehmen wollen. Ich finde das richtig und wichtig und frage Sie deshalb, welche Vorstellungen Sie konkret haben.
Beste Grüße
Claudia Deutinger
Liebe Frau Deutinger,
vielen Dank für Ihre Frage und das bekundete Interesse an der Europapolitik. Dieses Interesse ist bei den Menschen hierzulande leider rückläufig oder gar nicht erst vorhanden. Aber genau das Gegenteil müsste der Fall sein. Die Europäische Union ist zum Geburtsort von sehr vielen Gesetzen und Gesetzesinitiativen geworden, die im Endeffekt in den Regionen umgesetzt und angewendet werden müssen. Deshalb müssen die Regionen, wozu die deutschen Bundesländer als Gliederungseinheit gehören, in die Lage versetzt werden, auf diesen Entscheidungsprozess auch intensiv Einfluss nehmen zu können. Hier gibt es aus meiner Sicht sehr starken Nachholbedarf.
Auch wenn die bayerische Staatsregierung immer wieder bekundet, Europapolitik sei wichtig, habe ich den Eindruck, dass diese trotz all dieser Bekundungen noch immer wie ein Stiefkind behandelt wird. Der bayerische Europaminster machte kürzlich Schlagzeilen, weil er vor der bayerischen Vertretung in Brüssel einen Maibaum hat aufstellen lassen. Damit sorgt man höchstens für einen Lacher, aber nicht dafür, dass man als Teil des europäischen Gesetzgebungsprozesses ernstgenommen wird.
Eine bayerische Europapolitik beginnt zu Hause. Man muss die Bürgerinnen und Bürger über geplante Vorhaben informieren, die Vertreter betroffener Industriezweige / Sektoren an einen Tisch holen und möglichst gemeinsame Positionen erarbeiten. Mit diesen Positionen geht man dann - den Idealfall weiter durchspielend- nach Brüssel und vertritt die bayerischen Interessen in den beteiligten Ausschüssen und Gremien.
Es ist kein Wunder, wenn die Bürger kein Interesse an der EU haben, wenn sie lediglich mit Gesetzen konfrontiert werden, deren Entstehungshintergrund und Sinnhaftigkeit sich den Betroffenen meist nicht erschließt. Und je größer die Staatengemeinschaft wird, desto undurchschaubarer werden für die Menschen die Zuständigkeiten und auch die Identifikationsmöglichkeiten mit den Partnerstaaten. Wie wird die EU finanziert? Wie ist die Gewichtung der Stimme des eigenen Landes? Wer macht künftig was in der EU? Ich habe mir vor einiger Zeit die Mühe gemacht, zu diesen Fragen ein Nachschlagewerk zu erarbeiten (Knaurs Handbuch Europa), in dem ich die oft komplizierten Sachverhalte der Europapolitik leicht und verständlich darzustellen versucht habe.
Auch mit der Föderalisierung Europas habe ich mich intensiv auseinandergesetzt (Europa föderal organisieren. Ein neues Kompetenz- und Vertragsgefüge für die Europäische Union, ein Buch mit einem immer noch aktuellen Sachverhalt). Eine föderal gegliederte Union wäre von Vorteil, weil sie den Regionen geeignete Gestaltungsmöglichkeiten einräumen würde. Trotz der Verankerung des Subsidiaritätsprinzips versucht die EU-Ebene bisweilen immer mehr Kompetenzen an sich zu ziehen und eine Politik von oben nach unten durchzusetzen.
Mein Ansatz in der Europapolitik beruht also auf drei Pfeilern:
- Wer mitreden will, der muss über ein Grundverständnis der ablaufenden Prozesse verfügen. Wenn 80% der deutschen Gesetze im Wirtschaftsbereich aus Europa kommen, dann ist es ein Fehler, wenn dies den Bürgerinnen und Bürgern nicht deutlich wird. Deshalb will ich mich dafür einsetzen, dass Europapolitik und dessen Auswirkungen auf Bayern stärker als bisher in den politischen Debatten thematisiert wird. So wie wir den Euro als ein Stück europäischer Politik täglich in der Hand halten, sollten wir die europäische Dimension als selbstverständlichen Bestandteil unserer Politik verstehen und behandeln.
- Jacques Delors hat einmal zurecht gesagt, die Europäer verlieben sich nicht in einen Binnenmarkt. Wir Sozialdemokraten stehen dafür, dass aus dem technokratischen Europa der Richtlinien und Verordnungen wieder stärker das soziale Europa wird. Europa soll das tun, was die einzelnen Staaten im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr können: Wirksam die Interessen der Bürgerinnen und Bürger vertreten und das europäische Modell der sozialstaatlichen Flankierung der Marktwirtschaft absichern.
- Und drittens muss Europapolitik in Bayern konzeptionell und alltagspraktisch ernster als bisher genommen werden. Neben der gestalterischen Mitwirkung auf der Bundesebene sowie der konstruktiven Mitarbeit in den europäischen Gremien (etwa dem Ausschuss der Regionen) soll Bayern sein politisches Einflusspotenzial besser ausschöpfen, indem es die Zusammenarbeit und den Austausch mit anderen Regionen verstärkt.
Herzliche Grüße
Nicole Schley