Nicole Gohlke
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Frage von Frank H. •

Frage an Nicole Gohlke von Frank H. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrte Frau Abgeordnete Gohlke,

folgende Gegebenheit mit sowohl bildungs- als auch rechtspolitischem Bezug möchte ich gerne über Abgeordnetenwatch.de an Sie herantragen und versuche mich dabei bewusst kurz zu fassen:

Im gesamten Bildungssystem der Bundesrepublik gibt es das Rechtsinstitut (ich nenne es einfach mal so) des „endgültigen Nicht-Bestehens“. Demnach gibt es für die Kandidaten nur eine begrenzte Anzahl von Prüfungsversuchen (meist 2), um zu einem bestimmten Bildungsabschluss zu gelangen. Das gilt praktisch durchgehend von Schul- über Berufs- bis hin zu Studienabschlüssen. Wer „endgültig“ nicht besteht, kann den betreffenden Abschluss in Deutschland lebenslang nicht mehr erwerben.

Worin liegt aber der „Grund“, die (dogmatische) Berechtigung einer solchen Regelung? Ist es politisch richtig bzw. vertretbar, dass jemand wegen gescheiterten Prüfungen Berufswege (im Extremfall gar grundlegende Schulabschlüsse!) für immer versperrt werden, obwohl zu späterem Zeitpunkt die erforderlichen Voraussetzungen vielleicht vorhanden sein könnten?

Es erscheint zwar einleuchtend, von Seiten des Gesetzgebers verhindern zu wollen, dass jemand mehrfach unbedarft in Prüfungen hineingeht, bis irgendwann zufällig ein bestimmter Teil des Prüfungsstoffes abgefragt wird – aber wäre da nicht eine Sperrfrist die bessere Lösung (ich denke da an ca. 5 bis 10 Jahre)?

Dem Normalbürger in der Laiensphäre ist es jedenfalls nur schwer plausibel zu machen, dass selbst zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Schwerverbrecher aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Bewährungschance nach regelmäßig 15 Jahren erhalten, ein negatives Prüfungsurteil aber tatsächlich lebenslänglich gilt.

Mich würde dazu einfach mal Ihre Meinung als Fachpolitikerin interessieren!

Mit freundlichen Grüßen

Frank Heuß

Nicole Gohlke
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Heuß,

ich möchte mich für Ihr Schreiben bedanken, das ich hiermit gern beantworte.

Das Prüfungsrecht sollte nicht auf Selektion, sondern auf Transparenz und den Abbau von Bildungsbarrieren abzielen. Das Recht, eine Prüfung überhaupt wiederholen zu können, hat schon seit langer Zeit ein zwar bescheidenes, aber mehr als notwendiges Korrektiv zu Rechtsunsicherheit und Willkür dargestellt, dem Studierende vor allem in Prüfungen unterworfen waren und sind.

Noch vor 1991 waren an den deutschen Hochschulen Prüfungsordnungen in Kraft, die dem Bewertungsspielraum des Prüfers keine nennenswerten Einschränkungen gesetzt haben. Damals bescheinigte das Bundesverfassungsgericht den bis dato geltenden Ordnungen in zwei Beschlüssen schon im Kern Verfassungswidrigkeit. Daraufhin wurde aus Artikel 12 und 19 des Grundgesetzes (Berufsfreiheit und Rechtsweggarantie) ein Prüfungsrecht abgeleitet. Desweiteren greifen Urteile der Verwaltungsgerichte.

Dennoch obliegt es weiterhin dem Ermessen der jeweiligen „Prüfungsrechtsetzer“ (also den betreffenden Landesgesetzen, Prüfungsordnungen usw.), ob und innerhalb welcher Frist den Prüflingen eine zweite oder weitere Wiederholung einer unbestandenen Prüfung gewährt wird. Rechtsunsicherheit und Willkür der Prüfer bleiben also nach wie vor Faktoren, die zwar ein wenig eingeschränkt, aber nicht ausgeschaltet worden sind. Umso mehr teile ich Ihre Ansicht, dass es keine Beschränkung der Zahl von Prüfungswiederholungen geben sollte.

Desweiteren muss man meines Erachtens die Frage nach dem Sinn von Prüfungen viel grundsätzlicher stellen. Sicherlich ist ein Eignungsnachweis für bestimmte Berufe unbedingt notwendig, aber die gängige Praxis zeichnet sich auch durch Diskriminierung in unterschiedlichen Graden aus. Wichtiger noch, gerade die Prüfungen, die über den Zugang zu Bildungseinrichtungen bestimmen, sind nicht geeignet, einen Menschen und sein Potenzial zu beurteilen, vorrangig wird in ihnen bereits erworbenes Wissen abgefragt. Auch hier herrscht also - vor allem soziale - Diskriminierung.

Ich halte damit nicht nur die Beschränkung von Prüfungsversuchen für ein Problem, sondern das Prüfungswesen an und für sich.

Leider wird zur Behebung dieses Problems gegenwärtig kaum etwas unternommen. Ganz im Gegenteil, im Hochschulbereich verschärft sich der Druck auf die Studierenden noch: Die Rationalisierung der Universitäten, die mit der Einrichtung von Bachelor- und Masterstudiengängen einher ging, schränkt die Wiederholbarkeit von Prüfungen enorm ein.

Als exemplarisch dürften hier die Erfahrungen an der Universität Potsdam gelten. Das 2004 dort eingeführte Belegpunktesystem lässt die Wiederholung von Klausuren u.ä. nur unter dem Einsatz weiterer Punkte zu, was die Gefahr erhöht, dass die Regelstudienzeit überschritten wird und Förderansprüche nach dem BAföG oder staatlichen Leistungsstipendien verloren gehen. Desweiteren existiert eine Höchstgrenze für die Anmeldungen zu Prüfungen (die sich aus den Belegpunkten ergibt), die lediglich die einmalige Wiederholung von bloß jeder dritten Prüfung erlaubt. Vor der Einführung des Belegpunktesystems konnten Studierende jede Prüfung noch bis zu zweimal wiederholen.

Diese Entwicklung, nach der die Wiederholungsmöglichkeiten von Prüfungen schon strukturell eingeschränkt werden, ist eine Begleiterscheinung des neoliberalen Umbaus der Hochschulen. Sie bilden also bloß ein Symptom der noch laufenden Hochschul-Rationalisierung. An dieser Ursache muss meines Erachtens der Hebel zur Beseitigung dieses Missstandes angesetzt werden.

Mit freundlichen Grüßen, Nicole Gohlke.

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