Frage an Nicole Gohlke von Albert P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Was sagen Sie zur Hamas, ihren Raktenangriffen bis zum Ende des Jahres 2008, und zum Existenzrecht Israels. Ist Hamas für Sie eine Terrororganisation? Sollten deren Untergruppierungen in der BRD mit allen gesetzlichen Mittel daran gehindert werden Propaganda und Terrorfinancing für den Dschihad zu machen? Da Sie oft und gerne einen reinen Sozialismus beschwören und Rudi Dutschke für sich bemühen, haben wir stalinistisches Blockdenken in der sogenannten Plästinafrage von der Linken zu erwarten, die altbekannte volle DDR-"Solidarität" für palästinensischen (und wie wir heute wissen auch deutschen) Terrorismus? Wie stehen Sie zur iranischen Opposition, jener die es nur auf der Straße geben darf, hat nach Ihrer Ansicht Achmadinedsch ein bischen recht?
Kurzum die Gretchenfrage: Wie halten Sie es mit der Demokratie angesichts eines aufmarschierenden Islamofaschismus?
(Vernommen habe ich schon, dass die PDS sich einmal sogar schriftlich beim DDR-Volk "entschuldigt habe", wie Sie zu meinen sich rühmen. Und kein Misverständnis Ihrerseits, Lafontaine halte ich für einen der wenigen honorablen Polit-Akteure im deutschen Lügensumpf und Dutschke für so eine Art Propheten einer direkten Demokratie)
Sehr geehrter Herr Pelka,
ich habe länger überlegt, ob und wie ich auf Ihre Frage antworte. Denn der Ton, in dem Sie Ihre Anfrage stellen, macht mir eine Beantwortung ziemlich schwer - sie ist gespickt mit Vorwürfen und Unterstellungen und macht insgesamt den Eindruck, als seien Sie mehr an einem Forum, um diese Vorwürfe abladen zu können interessiert, als an einer ehrlichen politischen Auseinandersetzung mit mir.
Aus Ihrer "Anfrage" lassen sich für mich letztlich folgende Fragen herausfiltern:
- Ist „Islamofaschismus“ die „Gretchenfrage“, die es derzeit zuallererst zu beantworten gilt?
- Wie kann die Oppositionsbewegung im Iran unterstützt werden?
- Was positioniere ich mich im Nahostkonflikt?
Ich versuche die Fragen in dieser Reihenfolge zu beantworten.
Ich lehne den Begriff des „Islamofaschismus“ ab.
Erstens beinhaltet er eine unhistorische Relativierung des deutschen und europäischen Faschismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zweitens wird er von der politischen Rechten als Kampfbegriff gegen muslimische Minderheiten in Europa genutzt, die spätestens seit dem 11. September 2001 zum Sündenbock gemacht werden für eine Politik des Krieges und der Besatzung im Nahen und Mittleren Osten.
Die „Gretchenfrage“ der Demokratie ist meiner Ansicht nach auch nicht jener "Islamofaschismus" von dem Sie reden, sondern die Ungleichverteilung des Reichtums und damit verbunden die Ungleichverteilung der gesellschaftlichen Teilhabe. Demokratie braucht zuallererst die Möglichkeit für jeden einzelnen, am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilzuhaben -unabhängig von seiner Herkunft und religiöser Überzeugung.
Zur Wahlfälschung von Ahmadinedschad und der folgenden Demokratiebewegung im Iran, wurde bereits am 20.6. eine Resolution des Bundesparteitags der LINKEN unter dem Titel „Solidarität mit den Menschen in Iran“ beschlossen:
„Die Partei DIE LINKE solidarisiert sich mit den Protesten der Menschen im Iran gegen den vermuteten Wahlbetrug und unterstützt die iranische Demokratiebewegung, die seit Jahren gegen die herrschende Politik im Iran kämpft.“ (online unter http://die-linke.de/partei/organe/parteitage/bundestagswahlparteitag_2009/weitere_beschluesse/solidaritaet_mit_den_menschen_in_iran/ )
Gleichzeitig darf aus unserer Sicht aber die iranische Demokratiebewegung nicht durch eine militärische Aggression des Westens gegen den Iran behindert werden. Bomben bringen niemals Demokratie, sondern Tod, Leid und Verzweiflung und damit den Nährboden für weitere Gewalt und Diktatur. Dass in der Presse aus dieser Ablehnung der Bombardierungen eine Zustimmung zu Ahmadinedschad konstruiert wird, bleibt Propaganda gegen DIE LINKE.
Im Rahmen dieser kurzen Antwort möchte ich zur Frage des Israel-Palästina Konflikts nur ein paar aus meiner Sicht zentrale Argumente vorbringen.
Zunächst glaube ich nicht, dass in Deutschland das „Nahost-Problem“ gelöst werden kann, aber ich denke, dass eine weitere Anfeuerung des Konfliktes unterbunden werden muss. Dazu zählt als allererstes, dass Waffenexporte nach Israel endlich gestoppt werden müssen. Nur durch einen Waffen- und Rüstungsboykott in Konfliktregionen können Krieg und Terror zumindest erschwert werden. Als zweites sollte sich linke Außenpolitik nicht in erster Linie an militärischen, sondern an zivilgesellschaftlichen Vertretern in der Region orientieren, die schon längst bewiesen haben und jeden Tag aufs neue beweisen, dass Juden und Muslime gemeinsam gegen ein politisches Regime der Besatzung und des Krieges aktiv werden. Drittens: Die Hamas ist historisch nicht Ursache, sondern Folge von Besatzung, Eroberung, Landraub und jahrzehntelanger Drangsalierung. Man kann sie nicht für einen über 60 Jahre alten Konflikt verantwortlich machen, wenn sie erst seit gerade mal 20 Jahren existiert. Das macht sie sicherlich noch lange nicht zu unserem ersten Bündnispartner. Dennoch wird es nötig sein, und das ist mein viertes Argument, dass die Hamas als gewählte Volksvertretung in Gaza und als einflussreiche Kraft in der palästinensischen Bevölkerung mit an den Verhandlungstisch kommt, wenn es um die Zukunft einer gerechteren und friedlicheren Gesellschaft im Nahen Osten geht.
Nicole Gohlke