Frage an Michael Schrodi von Moritz A. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Schrodi,
warum setzt sich ihre Partei nicht mehr, gerade in Anbetracht des Corona-Virus , für die Flüchtlinge in Griechenland und vor den Grenzen der Griechenlands ein.
Was sagen Sie zu den Vorwürfen, dass hier Menschen ihr Recht auf Aysl verwehrt wird?
Sehr geehrter Herr Antrup,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Die Situation in den Lagern auf den griechischen Inseln, wie Lesbos, Chios und Samos, ist dramatisch. Die Lager sind mit derzeit über 40.000 Menschen völlig überlastet, darunter fast 15.000 Minderjährige und viele unbegleitete Kinder. Dass angesichts der Überfüllung der Lager und der mangelhaften Versorgungs- und Hygienesituation noch keine Fälle von Corona-Infektionen aufgetreten sind, ist eher ein glücklicher Zufall, was sich jeder Zeit ändern kann. Ein Ausbruch der Pandemie unter diesen Bedingungen wäre eine humanitäre Katastrophe. Seit dem 21. März gilt in den Lagern eine verschärfte Ausgangssperre und immerhin rund zehn Prozent der Menschen, 4.200 Personen, in den Lagern auf den Inseln sind im März auf das griechische Festland gebracht worden.
Die Dringlichkeit dieser Situation ist uns bewusst. Die Verfahren, wie etwa die Auswahl der Personen in Kooperation mit Hilfsorganisationen und anderen europäischen Ländern, brauchen allerdings auch eine gewisse Zeit. Wir befinden uns in enger Abstimmung mit vielen Verantwortlichen, um das Verfahren zu beschleunigen, soweit wir dies mit politischem Druck oder dem Angebot weiterer Unterstützung vermögen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in den vergangenen Wochen intensiv für die Aufnahme von Flüchtlingen von den griechischen Inseln eingesetzt. Ich bin froh, dass alle sozialdemokratisch regierten Bundesländer zur Aufnahme bereit sind, darüber hinaus auch viele Städte und Gemeinden. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius hat sich als einer der ersten für die Aufnahme minderjähriger Geflüchteter stark gemacht. Am 08. März hat der Koalitionsausschuss nach zähen Verhandlungen die Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen oder besonders schutzbedürftigen Kindern beschlossen. Gemeinsam mit Deutschland haben sich acht weitere Länder zur Aufnahme von insgesamt 1.600 Kindern im Rahmen einer europäischen Lösung bereiterklärt. Das Verfahren wird von der Europäischen Kommission koordiniert.
Wir fordern die Kommission auf, angesichts der Gefahr eines Ausbruchs der Corona-Infektion, so bald wie möglich mit der Umsetzung dieses Beschlusses zu beginnen, damit möglichst schon in der kommenden Woche die ersten Personen umgesiedelt werden können. Deutschland muss dabei mit gutem Beispiel vorangehen, aber wir erwarten auch von anderen europäischen Staaten, dass sie sich der Gruppe der aufnahmewilligen Staaten anschließen. Die 1.600 Kinder können nur ein Anfang sein. Unser menschenrechtpolitischer Sprecher Frank Schwabe, der migrationspolitische Sprecher Lars Castellucci und der zuständige Berichterstatter der SPD-Fraktion, Helge Lindh, haben sich vor Ort ein Bild der Situation gemacht und haben sich dafür ausgesprochen, dass ein Großteil der Menschen aus den überfüllten Lagern schnell auf das griechische Festland gebracht wird. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) baut dort derzeit drei Lager; fünf weitere provisorische Lager könnten zusätzliche Menschen beherbergen. Ein Weg könnte sein, dem UNHCR die operative Verantwortung zur Leitung der Flüchtlingszentren zu übertragen. Anerkannte Flüchtlinge müssen dann auf eine europäische Koalition der Willigen verteilt werden.
Die griechische Regierung hat Anfang März dieses Jahres einen Beschluss gefasst, dass alle über die griechisch-türkische Landesgrenze auf den Ägäis-Inseln angekommenen Flüchtlinge in zwei neue Lager auf dem Festland gebracht und später in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Griechenland hat das Asylrecht für einen Monat ausgesetzt und Anfang März mehrere syrische Staatsbürger in die Türkei zurückgeführt. Inzwischen wurden die Rückführungen wegen der Corona-Gefahr ausgesetzt. Wir fordern von unserem EU-Partner Griechenland einen humanen Umgang mit den Geflüchteten und zur Achtung des Völkerrechts. Die Nichteinhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und eine generelle Aussetzung des Rechts auf Asyl sind genauso wenig akzeptabel wie Push-Backs und Gewalt. Das Grundrecht, einen Asylantrag zu stellen, muss sofort wiederhergestellt werden.
Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Wir müssen gemeinsam unseren humanitären Aufgaben nachkommen und die unwürdigen Zustände in den griechischen Lagern beenden. Wir dürfen die Menschen in Griechenland und die griechische Regierung mit dieser Aufgabe nicht allein lassen. Wir brauchen dazu auf Dauer eine Neuausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik und des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Wir müssen die Staaten an den EU-Außengrenzen unterstützen und die geflüchteten Menschen solidarisch auf die einzelnen Mitgliedstaaten verteilen. Daran arbeiten wir auf EU-Ebene mit Hochdruck. Die EU muss die finanzielle und organisatorische Hilfe für die von Flüchtlingsbewegungen besonders betroffenen Länder erhöhen. Es muss schnellstmöglich ein neues EU-Türkei-Abkommen ausverhandelt werden und Griechenland in die Lage versetzt werden, humanitäre Bedingungen für die Geflüchteten vorzuhalten. Die Bundesregierung muss die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte nutzen, um endlich zu langfristigen Lösungen für eine humane, solidarische und rechtssichere EU-Asylpolitik zu kommen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Schrodi