Wird mit gleichem Maß gemessen, wenn sofort Sanktionen gegen den Iran diskutiert werden für die Angriffe in Israel, dies aber ausbleibt bzgl. der Angriffe Israels ggü. Iran und im Gaza Steifen?
Sehr geehrter Herr Roth, mich beschäftigt die Frage, ob die Handlungen unterschiedlicher Staaten mit gleichem Maß bewertet werden. Aus der Ferne scheint dies im Ungleichgewicht zu sein. Sie hatten sich zu einer ähnlichen Fragen im Vergleich Israel zu Russland bereits geäußert. Daher würde mich Ihre Ausführung dazu sehr interessieren. Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr W.,
für Ihre Frage danke ich Ihnen und nehme gerne dazu Stellung.
In den vergangenen Wochen habe ich mitnichten den Eindruck gewonnen, dass es in Deutschland eine unkritische Debatte über das militärische Vorgehen Israels gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen gibt. Im Gegenteil: Ich nehme die deutsche Debatte inzwischen sogar als äußerst einseitig wahr, da kaum noch über die eigentliche Ursache dieses Krieges geredet wird: das Massaker vom 7. Oktober, das in Israel tiefe Wunden geschlagen und zu einer großen Traumatisierung geführt hat.
Klar ist: Nach den barbarischen Terroranschlägen von Hamas am 7. Oktober hat Israel das Recht, sich zu verteidigen und die Sicherheit für alle Israelis wiederherzustellen. Die israelische Armee steht dabei vor einem schweren und herzzerreißenden Dilemma. Der Gazastreifen ist der Lebensort von rund zwei Millionen Menschen auf engstem Raum. Gleichzeitig ist er aber das größte Terrorcamp der Welt. Die Hamas missbraucht Moscheen, Krankenhäuser, Wohnungen, Schulen als Terrorzentralen und Waffenlager. Daher ist es nicht immer leicht, die Zerschlagung der Terrorinfrastruktur und den Schutz von Zivilisten klar voneinander abzugrenzen. Selbstverständlich trägt Israel die Verantwortung, bei seiner Kriegsführung das humanitäre Völkerrecht zu beachten, die palästinensische Zivilbevölkerung bestmöglich zu schützen und humanitäre Hilfe nicht zu behindern. Jedes zivile Opfer ist eines zu viel.
Ebenso erwarte ich von der israelischen Regierung, alle einseitigen und völkerrechtswidrigen Schritte zu unterlassen, die eine Zweistaatenlösung behindern oder faktisch unmöglich machen. Vor diesem Hintergrund kritisiere ich beispielsweise regelmäßig den völkerrechtswidrigen Bau von Siedlungen im Westjordanland.
Da Sie auch Iran ansprechen: Für den präzedenzlosen Angriff des Iran auf Israel mit über 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern, der nur dank der hervorragenden israelischen Luftverteidigung und der Unterstützung durch Partner fast vollständig abgewehrt werden konnte, gibt es keine Rechtfertigung. Die Vernichtung Israels ist seit 1979 iranische Staatsdoktrin. Dennoch hat Israel mit großer Besonnenheit auf den iranischen Großangriff reagiert und damit eine größere militärische Eskalation in der Region vorerst verhindert. Ich sehe Iran als größte Gefahr für die Sicherheit im Nahen Osten und befürworte deshalb auch weitere Sanktionen gegen Teheran.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Roth