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Michael Roth
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Frage von Andreas S. •

Wie kann man anklagen, was man selbst auch tut? Wie kann man glaubwürdig gegen Völkerrechtsbruch sein, wenn man sich für den Einsatz völkerrechtlich geächteter Streumunition ausspricht?

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Sehr geehrte Frau S.,

für Ihre Frage zur völkerrechtlichen Einordnung des Einsatzes von Streumunition danke ich Ihnen und nehme gerne dazu Stellung.

Der Begriff Streumunition bezeichnet konventionelle Munition, die kleinere Sprengkörper mit jeweils weniger als 20 Kilogramm Gewicht verstreut oder freigibt. Das Oslo-Übereinkommen, das am 1. August 2010 in Kraft getreten ist, verbietet diese Art von Munition und enthält Vorgaben zur Zerstörung von vorhandenen Beständen, zur Räumung von mit Streumunition belasteten Flächen, zur Unterstützung der Opfer von Streumunition und zur jährlichen Berichterstattung. Gegenwärtig gehören dem Übereinkommen 110 Vertragsparteien an - darunter auch Deutschland. Als Vertragspartei hat Deutschland die Vernichtung der eigenen Lagerbestände bereits Ende 2015 vollständig abgeschlossen. Insofern verfügt Deutschland über keine Bestände an Streumunition und wird auch keine neuen beschaffen, um diese an andere Staaten weiterzugeben. Zudem wirbt die Bundesregierung auf internationaler Ebene seit vielen Jahren dafür, dass weitere Staaten dem Oslo-Übereinkommen beitreten.

Denn während Deutschland Vertragspartei ist, haben u.a. weder die USA noch die Ukraine und Russland das Oslo-Übereinkommen unterzeichnet und ratifiziert, d.h. es ist für sie auch völkerrechtlich nicht bindend. Deshalb ist es richtig, dass der Einsatz von Streumunition zwar von sehr vielen Staaten völkerrechtlich geächtet wird, aber eben nicht von allen. Insofern ist die souveräne Entscheidung der US-Regierung, jetzt Streumunition an die Ukraine liefern, aus rein völkerrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Vor diesem Hintergrund habe in einem Interview Verständnis für die Entscheidung der USA in der aktuellen Situation geäußert. Denn der Westen ist derzeit schlichtweg nicht in der Lage, der Ukraine das zu liefern, was sie eigentlich für ihren Kampf gegen die russischen Angreifer braucht. Ebenso habe ich aber deutlich gemacht, dass ich mir wünschen würde, dass die Ukraine schnellstmöglich militärisch so ausgestattet wird, dass auf die Lieferung von Streumunition vollständig verzichtet werden kann.

Während die völkerrechtliche Einordnung des Einsatzes und der Lieferung von Streumunition differenziert zu betrachten ist, je nachdem ob ein Staat selbst Vertragspartei des Oslo-Übereinkommens ist oder nicht, besteht bei der Bewertung des Völkerrechtsbruchs durch Russland kein Zweifel: Russland hat die UN-Charta unterzeichnet sowie ratifiziert und sich damit zu den universellen Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen verpflichtet. Russlands brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein eklatanter Verstoß gegen die UN-Charta, die jedwede Androhung oder Anwendung von Gewalt verbietet, die gegen die "territoriale Unversehrtheit" oder "politische Unabhängigkeit" eines Staates gerichtet ist. Insofern hinkt der Vergleich und der Vorwurf der Doppelmoral, den Sie in Ihrer Frage formulieren. Im übrigen verwundert es mich schon, dass die Verwendung von Streumunition Russlands gegen die ukrainische Zivilbevölkerung kaum kritisch kommentiert wurde. 

Mit freundlichen Grüßen
Michael Roth

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