Wie kann ich Ihre Antwort verstehen, Deutschland sei völkerrechtlich keine Kriegspartei geworden, obwohl das verlinkte Gutachten dies offenbar ganz anders einschätzt?
Sehr geehrter Herr Roth,
vielen Dank für Ihre Antwort auf meine Frage!
Wenn ich Sie recht verstehe, dass Deutschland derzeit nicht zur Kriegspartei wurde, haben Sie meine Frage (ob Deutschland durch die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Ihrer Sicht völkerrechtlich zur Kriegspartei geworden ist) abschlägig beantwortet. Der in meiner Frage verlinkte Artikel zum Gutachten (des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages) sieht dies aber offenbar anders. (hier nochmal):
https://www.n-tv.de/politik/Neues-Gutachten-Ist-die-Ausbildung-ukrainischer-Soldaten-in-Deutschland-eine-Kriegsbeteiligung-article23302046.html
Haben Ihre Recherchen hier etwas anderes ergeben? Halten Sie die genannte Studie für ein Fake, oder ist es einfach ihr persönliches Dafürhalten, das hier entscheidet?
Ferner haben Sie meine Frage noch nicht beantwortet, ob Waffenlieferungen an die Ukraine nach internationalen Regeln als legitime Angriffsziele angesehen werden können, wie Lawrow das behauptet.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr R.,
ich danke Ihnen für Ihre Nachfrage zu den völkerrechtlichen Betrachtungen eines möglichen Kriegseintritts der Bundesrepublik Deutschland.
In dem von Ihnen verlinkten Artikel wird nahegelegt, dass laut des Sachstandes des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages Waffenlieferungen völkerrechtlich als Kriegseintritt zu bewerten seien – unter der Bedingung der Ausbildung an den Waffen. Das geht aus dem Gutachten so allerdings nicht hervor. Denn dort heißt es in einer Passage im Konjunktiv: „Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei beziehungsweise Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.“ Verwiesen wird in der zugehörigen Fußnote auf ein Interview des Bochumer Völkerrechtlers Pierre Thielbörger mit der Neuen Zürcher Zeitung vom 13. März 2022. Dort heißt es – ebenfalls im Konjunktiv: „An sich sind Waffenlieferungen allein noch keine Kriegshandlung. Es gibt keine Staatenpraxis, die das annimmt. Anders könnte es sein, wenn es eine Beratungsleistung gibt, wie Waffen zu gebrauchen sind. Aber auch hier bleibt die Betrachtung des Einzelfalls ausschlaggebend.“
Wie die Bundesregierung bin auch ich weiterhin der festen Überzeugung, dass die Ausbildung von ukrainischen Soldatinnen und Soldaten in Deutschland oder anderen Nato-Staaten an Waffensystemen keinen Kriegseintritt nach sich zieht. Die Frage macht jedoch einmal mehr deutlich, dass die Bundesregierung teils schwierige Abwägungen treffen muss bei ihren Entscheidungen, bei denen es auch immer wieder juristische Graubereiche geben kann. Legitime Angriffsziele werden offenkundig von Wladimir Putin selbst definiert. Er schert sich nicht um das Völkerrecht und hat der Ukraine das Existenzrecht abgesprochen. Unser Ziel muss deshalb sein, dass die Ukraine ihre und unsere europäische Souveränität, Freiheit und Demokratie weiterhin verteidigen kann. Dabei unterstützen wir sie und handeln besonnen und entschlossen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Roth