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Michael Roth
SPD
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Frage von Horst K. •

„Russland ist eine imperialistische Macht…“ Was ist die USA nach Korea, Vietnam, Jugoslawien, Irak, Libyen? Wie bilden sie ihre Meinung? Wieviel russische Menschen kennen sie persönlich?

Die Liste der USA-Kriege ist lang! Beruhten alle auf der Charta der Vereinten Nationen? Welchen Maßstab legen sie in der Beurteilung der Geschichte an? Inwieweit bildeten die Artikel 1 und 2 des Nordatlantikvertrages in den Verhandlungen mit Russland die Grundlage? Wer hat die NATO gezwungen Raketen an die russische Grenze zu verlegen? Was sagten die USA zu Raketen auf Cuba?
„…übertriebene Sicherheit für den einen bedeutet Unsicherheit für den anderen.“ meinte jedenfalls Helmut Schmidt
Ist es wahr, dass Russland/SU im Zweiten Weltkrieg, der bisher wohl größten geschichtlichen Katastrophe, 27 Millionen Menschen verloren hat? Hat Russland diesen Krieg begonnen?
Ist es wahr, dass wir die Deutsche Einheit nicht zuletzt dem russischen Volk unter Michail Gorbatschow zu verdanken haben?
Ist es wahr, dass Michail Gorbatschow als erster vom „Europäischen Haus“, das nun zu errichten sei, gesprochen hat?
Ist es wahr, dass man Gorbatschow zugesagt hatte, die NATO nicht gen Osten zu erweitern?

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr K.,

für Ihre Frage danke ich Ihnen herzlich und nehme gerne dazu Stellung.

Ich bleibe dabei: Mit Blick auf Russland brauchen wir mehr Realismus statt naives Wunschdenken. Russland ist eine imperialistische und kolonialistische Macht, die unsere europäische Friedensordnung und regelbasierte Ordnung zerstören will. Putin will eine neue internationale Ordnung bauen, die ganz auf Zwang und Gewalt beruht, in der Großmächte über Einflusssphären verfügen, in denen sie schalten und walten können, wie sie wollen. Das widerspricht nicht nur unseren Ordnungsvorstellungen, sondern auch der UN-Charta, die Russland mit Füßen tritt. Die Liste der russischen Aggressionen in seiner Nachbarschaft ist lang: die beiden Tschetschenien-Kriege, der Militäreinsatz im Georgienkrieg auf der Seite südossetischer Rebellen 2008, die Invasion und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014, die militärische Unterstützung der prorussischen Kräfte im Krieg in der Ostukraine seit 2104 und der brutale Überfall auf die Ukraine seit Februar 2022.

Trotz dieser aggressiven Politik des Kremls hat Deutschland bis zuletzt versucht, den Dialog mit Russland aufrechtzuerhalten, um Frieden und Sicherheit in Europa zu wahren. Dialog ist auch nicht per se falsch, denn wir brauchen offene Gesprächskanäle nach Moskau, um Transparenz zu ermöglichen, Missverständnisse auszuräumen und eine weitere militärische Eskalation zu vermeiden. Aber die Politik, die auf Verständigung und wirtschaftlichen Austausch setzte, hat Russland nicht von seinem aggressiven Kurs abbringen können. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir zu sehr aus dem Blick verloren, dass zur Dialogbereitschaft immer auch Wehrhaftigkeit und Abschreckung gehören. Fakt ist: Sicherheit kann es in Europa auf absehbare Zeit nur noch gegen, nicht mehr mit Russland geben. Das muss nicht für alle Zeit so bleiben, aber ohne einen Waffenstillstand, ohne einen Rückzug aller russischen Truppen aus der Ukraine und ohne ein klares Bekenntnis Russlands zum Völkerrecht können sich unsere Beziehungen nicht wieder normalisieren.

Putin betreibt seit Jahren eine psychologische Kriegsführung gegen den Westen, vor allem gegen Deutschland. Auch hierzulande fallen viele propagandistische Lügenmärchen auf fruchtbaren Boden. Leider greifen auch Sie in Ihrer Frage bekannte Narrative der russischen Propaganda auf. Putin hat es geschafft, die Sowjetunion mit Russland gleichzusetzen. Viele Deutsche meinen, wir müssten uns in Konflikten mit Russland aus historischer Verantwortung für den nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug im Osten zurückhalten. Ja, es gibt eine besondere historische Verantwortung, aber die gilt ebenso für die Ukraine, Belarus und die anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

Zweitens behauptet Putin, Russland sei von der Nato eingekreist worden. Wer sich eine Landkarte ansieht, wird feststellen, dass Russland vom westlichen Verteidigungsbündnis keineswegs umzingelt ist. Fakt ist: Die Nato-Russland-Grundakte, die der Stationierung von Truppen in den neuen Nato-Mitgliedstaaten Grenzen setzt, wurde von der Nato stets eingehalten. Es war Russland, das diesen Vertrag gebrochen und faktisch in die Tonne geworfen hat. Dennoch sollten wir nicht vergessen: Die Nato-Russland-Grundakte bekräftigt genau die Prinzipien, gegen die Putin tagtäglich verstößt – den Verzicht auf Gewalt, die Unverletzlichkeit von Grenzen, die Souveränität unabhängiger Staaten. Daran sollten wir Putin immer wieder erinnern.

Mit freundlichen Grüßen
Michael Roth

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