Bundeskanzler Scholz kritisiert die CDU/CSU für die Aussetzung der Wehrpflicht. Befürworten Sie die Wiedereinführung der Wehrpflicht und wenn ja, setzen Sie sich dabei für Gendergerechtigkeit ein?
Sehr geehrter Herr S.,
für Ihre Frage zur Wiedereinführung der Wehrpflicht danke ich Ihnen und nehme gerne Stellung dazu.
Die Wehrpflicht wurde 2011 vom damaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg übereilt ausgesetzt, ohne dies politisch und organisatorisch vorzubereiten. Schon damals war einer der Gründe für die Aussetzung, dass die Bundeswehr gar nicht so viele Wehrpflichtige aufnehmen konnte, wie in den Jahrgängen geboren wurden. Folglich gab es Klagen, da die Wehrgerechtigkeit nicht eingehalten wurde. Die Frage der Wehrgerechtigkeit müsste jedoch zwingend im Vorfeld einer Wiedereinführung juristisch geklärt werden.
Die im vergangenen Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine von Neuem angestoßene Debatte zur Wiedereinführung der Wehrpflicht hilft aus meiner Sicht in der aktuellen Situation nicht weiter. Die Wehrpflicht lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen reaktivieren – die zivilen und militärischen Strukturen dafür müssten erst wieder neu aufgebaut werden. Die Bundeswehr wäre derzeit gar nicht in der Lage, eine Wehrpflicht umzusetzen.
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht wäre mit sehr hohen finanziellen Kosten für Strukturen, Personal und Material verbunden. Zudem wäre die Ausbildung der Rekrutinnen und Rekruten langwierig, denn die Ausbildung an komplexen Waffensystemen würde rund 15 bis 20 Monate in Anspruch nehmen. Zum Vergleich: 2011 betrug die verkürzte Dauer der Grundausbildung nur noch sechs Monate und konnte damit den Anforderungen an die Beherrschung moderner Waffensysteme bereits nicht mehr gerecht werden. Die Bundeswehr benötigt jedoch Spezialistinnen und Spezialisten, die nicht nur ihre Grundausbildung bei der Bundeswehr absolvieren, sondern sich längerfristig binden. Vor diesem Hintergrund begrüße ich, dass sich die Ampelkoalition im Koalitionsvertrag darauf verständigt hat, die Bundeswehr demographiefest zu machen und weitere Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr einzuführen.
Gegenwärtig bin ich der Überzeugung, dass der Wehrdienst freiwillig bleiben sollte und die Wiedereinführung keinen kurzfristigen Nutzen hätte. In Zeiten des demographischen Wandels würden dem Staat darüber hinaus auf dem Arbeitsmarkt wichtige junge Fachkräfte fehlen, die er dringend braucht.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Ausführungen weiterhelfen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Roth