Frage an Michael Roth von Claudia R. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Staatsminister Herr Roth,
ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilen könnten, ob das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung vor einer epidemischen Lage den Gesundheitsminister der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Jens Spahn, berechtigt, Zwangsimpfungen anzuordnen.
Mit freundlichen Grüßen
Claudia Ruch
Sehr geehrte Frau Ruch,
für Ihre Frage zum Thema "Zwangsimpfungen" danke ich Ihnen und nehme gerne dazu Stellung. Das von Ihnen genannte "Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" wurde am 27. März 2020 anlässlich des Ausbruchs der Corona-Pandemie in Deutschland erlassen. Durch das Gesetz wurde zwar u.a. auch das Infektionsschutzgesetz geändert, allerdings sind Regelungen zur Impfpflicht oder zu "Zwangsimpfungen" davon nicht betroffen.
Unabhängig davon hat die Impfpflicht - also eine gesetzlich vorgeschriebene Schutzimpfung als gesundheitliche Präventivmaßnahme - in Deutschland eine lange Vorgeschichte: Bereits 1874 wurden im Deutschen Reich alle Deutschen durch das Reichsimpfgesetz verpflichtet, ihre Kinder im Alter von einem und zwölf Jahren gegen die Pocken impfen zu lassen. Diese Impfpflicht gegen die Pocken bestand auch in der BRD bis in die 1980er Jahre auf derselben Rechtsgrundlage weiter fort. Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich bereits 1959 in einem Urteil mit der Frage der Vereinbarkeit des Reichsimpfgesetzes von 1874 mit dem Grundgesetz auseinandergesetzt. Eine Impfpflicht wurde bei besonders ansteckenden Krankheiten, die Leben und Gesundheit anderer Menschen schwer gefährden, als zulässig erachtet. Der Schutz der Gesundheit anderer Personen bzw. der Allgemeinheit zur Abwehr von Seuchengefahren rechtfertigt dann den gesetzlichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.
Seit 2001 ist die Rechtsgrundlage für die Impfpflicht in Deutschland nun § 20 Abs. 6 und 7 Infektionsschutzgesetz, der die Einführung der Impfpflicht über eine einfache Rechtsverordnung vorsieht. Hier heißt es wörtlich:
„(6) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden. […]
(7) Solange das Bundesministerium für Gesundheit von der Ermächtigung nach Absatz 6 keinen Gebrauch macht, sind die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung nach Absatz 6 ermächtigt. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die obersten Landesgesundheitsbehörden übertragen.“
Lassen Sie mich aber klarstellen: Von dieser Anordnung einer Impfpflicht per Rechtsverordnung hat das Bundesgesundheitsministerium von 2001 bis heute noch niemals Gebraucht gemacht. Auch die am 1. März 2020 in Kraft getretene bundesweite Impfpflicht gegen Masern für Kinder und Beschäftigte in Gemeinschafts- oder Gesundheitseinrichtungen wie beispielsweise Kindertagesstätten und Schulen erfolgte nicht auf Grundlage einer solchen Rechtsverordnung, sondern durch eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes durch den Gesetzgeber. Diese Änderung wurde am 14. November 2019 nach langer, kontroverser Debatte vom Deutschen Bundestag beschlossen - also lange bevor die aktuelle Corona-Epidemie in Deutschland überhaupt ein Thema war.
Durch diese Neuregelung gilt nun: Wer keinen Impfschutz gegen Masern vorweisen kann, darf weder in den betroffenen Einrichtungen betreut, noch in diesen als Betreuer/in bzw. Lehrer/in tätig werden. In diesem Fall muss die Leitung der jeweiligen Einrichtung unverzüglich das zuständige Gesundheitsamt informieren, das dann die nachweispflichtige Person zu einer persönlichen Beratung einladen wird. Das Gesundheitsamt kann im Einzelfall entscheiden, ob nach Ablauf einer angemessenen Frist Tätigkeits- oder Betretensverbote ausgesprochen werden (außer bei schul- oder unterbringungspflichtigen Personen sowie im Falle eines Lieferengpasses der Impfstoffe). Es liegt im Ermessen der zuständigen Behörde, ob sie ein Bußgeld verhängt. Die Leitung einer Einrichtung, die entgegen der gesetzlichen Verbote eine Person betreut oder beschäftigt oder die Gesundheitsämter nicht informiert, muss mit einem Bußgeld bis zu 2.500 Euro rechnen. Das Bundesgesundheitsministerium hat aber eindeutig klargestellt: Die Freiwilligkeit der Impfentscheidung bleibt durch diese Regelungen unberührt. Eine "Zwangsimpfung" gegen den Willen der impfpflichtigen Person bzw. deren Erziehungsberechtigten nicht in Betracht!
Ich hoffe, dass ich Ihre Frage damit hinreichend beantworten und Ihre Sorge vor einer "Zwangsimpfung" ausräumen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Michael Roth