Frage an Michael Roth von Thorsten H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Roth,
zur Zeit wird in Deutschland über Volksentscheide auf Bundesebene diskutiert? Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Vielen Dank vorab für Ihre Bemühungen zur Beantwortung dieser Frage.
Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Homberger
Sehr geehrter Herr Homberger,
vielen Dank für Ihre Frage vom 27. Juni 2012 zum Thema Volkabstimmungen auf Bundesebene.
Die SPD setzt sich seit langer Zeit für eine stärkere Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger bei wichtigen politischen Entscheidungen ein. Bislang sieht unser Grundgesetz jedoch bundesweite Volksabstimmungen mit Ausnahme von Länderneugliederungen nicht vor. Die SPD hat die Forderung nach der Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene zuletzt im Dezember 2011 auf ihrem Bundesparteitag in Berlin bekräftigt. Der Weg zu mehr direkter Demokratie in Deutschland führt letztlich aber nur über eine Grundgesetzänderung, die von der schwarz-gelben Koalition, maßgeblich der CDU, weiterhin blockiert wird.
Derzeit wird auch im Kontext der Europapolitik über die Notwendigkeit einer Volksabstimmung in Deutschland diskutiert. Die Krise in der Eurozone hat gezeigt, dass wir die Probleme nur mit „mehr Europa“, nicht mit „weniger Europa“ in der Griff bekommen können. Mit seinen jüngsten Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht jedoch enge Leitplanken für die künftige Mitwirkung Deutschlands am europäischen Integrationsprozess gesetzt. Damit bestehen faktisch kaum noch Spielräume für die Übertragung weiterer Kompetenzen von der nationalen auf die europäische Ebene. Kurzum: „Mehr Europa“ ist zumindest aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts mit unserem Grundgesetz offenkundig nicht machbar.
Ich plädiere daher dafür, die nächste Änderung der europäischen Gemeinschaftsverträge in Deutschland mit einer Volksabstimmung zu verbinden, die sich auf Artikel 146 des Grundgesetzes bezieht. Wir brauchen kein neues Grundgesetz. Aber ob wir mit unserer derzeitigen Verfassung den Weg in ein föderales, demokratisch verfasstes Europa einschlagen, sollten letztlich die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Das, was den Deutschen 1990 bei der Wiedervereinigung verwehrt wurde, nämlich die Entscheidung über die Verfassungsordnung durch das Volk, wäre eine zukunftsweisende Chance für unser Land und Europa. Überzeugte Europäer sollten die Stimme des Volkes nicht fürchten.
Ich habe dieses Thema bereits am 12. November 2011 in einem Gastbeitrag „Eine Volksabstimmung für Europa“ in der Frankfurter Rundschau ausführlich behandelt. Sie können diesen Beitrag unter dem folgenden Link nachlesen: http://www.fr-online.de/meinung/gastbeitrag-eine-volksabstimmung-fuer-europa,1472602,11137410.html
Mit freundlichen Grüßen
Michael Roth