Prof. Dr. Michael Piazolo
Michael Piazolo
FREIE WÄHLER
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Frage von Claudia A. •

Warum werden die Auswirkungen der langen Schulschließungen in diesem Schuljahr nicht berücksichtigt?

Sehr geehrter Herr Piazolo,
aufgrund der langen Schulschließungen herrschen bei den Schülern nach wie vor Wissenslücken, Defizite im Arbeitstempo und in den Lerntechniken und vieles mehr. Darauf wird in diesem Schuljahr überhaupt keine Rücksicht mehr genommen. Es findet Unterricht nach Lehrplan statt, als hätte es diese langen Schulschließungen nie gegeben. Die Schüler brauchen mehr Zeit, um diese Defizite aufzuholen und nicht weiter neuen Stoff, den sie nicht verarbeiten können. Wieder sind es die Kinder, die frustriert sind, weil es schlechte Noten hagelt, für die sie nichts können. Was unternehmen Sie konkret, damit die großen Verlierer der Pandemie nicht weiterhin unsere Kinder sind? Das ist jetzt das 4. Schuljahr, mit dem die Schüler pandemiebedingt und durch Fehlentscheidungen von wem auch immer "zu kämpfen" haben. Was können Sie den Schülern JETZT anbieten?

Vielen Dank für Ihre Antwort und - noch viel wichtiger - schnellen Taten.

Prof. Dr. Michael Piazolo
Antwort von
FREIE WÄHLER

Sehr geehrte Frau A.,

vielen Dank für Ihre Frage. Die Lehrpläne an bayerischen Schulen sind grundsätzlich so konzipiert, dass sie den Lehrkräften bei der Wissensvermittlung und -einübung pädagogische Freiräume bieten, die zur Stoffvertiefung, Wiederholung und individuellen Förderung genutzt werden können. Hierbei können Wissensdefizite beseitigt und die Lernprogression kann entzerrt werden. Der LehrplanPLUS der Grundschule und der Mittelschule beispielsweise ist auf 26 Wochen ausgelegt. Bei insgesamt 38 Schulwochen steht den Schulen damit ein Gestaltungsspielraum von zwölf Wochen zur Verfügung, der Gelegenheit gibt, Unterrichtsinhalte zu vertiefen, zu wiederholen, ergänzend zu üben sowie Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern. Die konkrete Entscheidung über die jeweilige Nutzung dieser in den Lehrplänen fest verankerten Gestaltungsfreiräume liegt im pädagogischen Ermessen der Lehrkraft. Dies gilt gleichermaßen für die Stunde „Flexible Förderung“ in der Stundentafel der Grundschule im Rahmen des Kernunterrichts der Jahrgangsstufe 4. 

Diese grundlegenden Freiheiten, die die bayerischen Lehrpläne bieten und die damit auch Spielraum zur Aufarbeitung coronabedingter Defizite lassen, werden ergänzt um spezielle, auf die Folgen der Pandemie zugeschnittene Maßnahmen:

Zum einen kann dort, wo aufgrund pandemiebedingter Beeinträchtigungen der Lehrplan nicht in vollem Umfang erfüllt werden kann, auch im aktuellen Schuljahr 2022/2023 auf die verbindlichen Hinweise des ISB zu Schwerpunktsetzungen zurückgegriffen werden: https://www.distanzunterricht.bayern.de/lehrkraefte/schwerpunktsetzungen-in-den-lehrplaenen/.

Am 8. Dezember 2022 gab die Kultusministerkonferenz zudem bekannt, dass auch im Jahr 2023 durch die pandemiebedingte Ausnahmesituation der vergangenen Schuljahre in den Abschlussprüfungen keine Nachteile entstehen dürfen (https://www.kmk.org/aktuelles/artikelansicht/auch-2023-keine-nachteile-in-abschlusspruefungen-durch-pandemiebedingte-ausnahmesituationen.html), und bekräftigte damit ihren Beschluss aus dem Jahr 2020. 

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wurde auch das bewährte Übertrittsverfahren insbesondere aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen im Präsenzunterricht ab Mitte Dezember 2020 so angepasst, dass es auch in dieser Situation den Talenten und Begabungen der Kinder mit Blick auf den weiteren Schulweg bestmöglich gerecht wird. Zum Schuljahr 2020/2021 wurde die Zahl der Probearbeiten in Jahrgangsstufe 4 bis zum Übertrittszeugnis dauerhaft von 22 auf 18 gesenkt.

Mit dem Ziel, die pandemiebedingten Lernrückstände abzubauen, hat die Bayerische Staatsregierung außerdem bereits im Schuljahr 2020/2021 das Lernförderprogramm „gemeinsam.Brücken.bauen“ aufgesetzt. Dieses Programm wurde im Schuljahr 2021/2022 fortgeführt und erweitert. Es besteht auch im aktuellen Schuljahr 2022/2023 fort. An „gemeinsam.Brücken.bauen“ partizipieren staatliche Schulen ebenso wie kommunale Schulen und private Ersatzschulen. Das Lernförderprogramm „gemeinsam.Brücken.bauen“ nimmt schwerpunktmäßig die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler in den Blick. Es stehen dafür insgesamt 210 Mio. Euro bereit. Damit setzt Bayern zugleich den Teilbereich „Lernrückstände abbauen“ des Aktionsprogramms des Bundes „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ um. Durch die zusätzlich bereitgestellten Mittel können die Schulen zusätzliche Fördermaßnahmen einrichten, beispielsweise im Regelunterricht durch eine erweiterte Binnendifferenzierung oder die Bildung von Kleingruppen oder durch die Einrichtung von zusätzlichen Brückenkursen außerhalb des Regelunterrichts. Das Programm „gemeinsam.Brücken.bauen“ beinhaltet darüber hinaus das Tutorenprogramm „Schüler helfen Schülern“, bei dem leistungsstarke Schülerinnen und Schüler Leistungsschwächere individuell oder in Kleingruppen beim Aufholen von Lernrückständen unterstützen.

Beim Lernförderprogramm „gemeinsam.Brücken.bauen“ gilt das Grundprinzip: „Förderinstrumente stärken – neue Angebote schaffen“. Das Programm beruht dabei auf zwei gleichberechtigten Säulen: Einmal geht es darum, Lernrückstände zu kompensieren und zum anderen um die psychosoziale und sozioemotionale Gesundheit der Schülerinnen und Schüler und damit um ihre Sozialkompetenz. Dazu erhalten die Schulen auch fachliche Unterstützung und Anregungen: Unter www.brueckenbauen.bayern.de sind zahlreiche Möglichkeiten und Beispiele aufgeführt, die aus der Praxis kommen – von der Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen bis hin zur Stärkung von Stressbewältigung und Resilienz. Im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes wurden die Schulen zum aktuellen Schuljahr 2022/2023 ermuntert, die Förderung der Sozialkompetenz und insbesondere die Bewältigung psychosozialer Belastungen der Schülerinnen und Schüler ganz besonders in den Blick zu nehmen.

Sehr geehrte Frau A., die Bayerische Staatsregierung hat die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler geschaffen. Es wurden angesichts der Corona-Pandemie rechtzeitig und umfassend zusätzliche Maßnahmen ergriffen und Förderprogramme aufgesetzt, um die pandemiebedingten Belastungen zu kompensieren und aufzufangen. Diese Maßnahmen und Förderprogramme dauern, wie geschildert, auch im aktuellen Schuljahr 2022/2023 an.

Viele Grüße
Michael Piazolo

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