Frage an Michael Piazolo von Ernst S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Piazolo,
Inklusion: Ist es wirklich erforderlich, Kinder mit LERNBEHINDERUNG im normalen Unterricht mit zu
unterrichten? Hemmt das nicht den Lernfortschritt der anderen Schüler, und verlangsamt es nicht den Unterrichtsfluss und Lernstoff?
Der gemeinsame Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung ist gesetzlich geregelt. Am 26. März 2009 wurde das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland (UN-Behindertenrechtskonvention, UN-BRK) durch ein Bundesgesetz in nationales Recht transformiert. In Art. 24 UN-BRK haben sich die Vertragsstaaten zu einer Schulbildung für Kinder mit Behinderung (Abs. 1) und für ein inklusives Schulsystem (Abs. 2) verpflichtet. Eine Unterrichtung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne – nach deutscher Diktion – sonderpädagogischem Förderbedarf ist das zentrale Anliegen. Am 13. Juli 2011 wurde auf Initiative einer interfraktionellen Arbeitsgruppe Inklusion aus allen im Bayerischen Landtag vertretenen Fraktionen im Bayerischen Landtag einstimmig die Änderung des Schulgesetzes (Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen, BayEUG) als erster wichtiger Schritt zur Umsetzung der UN-BRK verabschiedet. Inklusiver Unterricht ist nach Art. 2 Abs. 2 BayEUG Aufgabe aller Schulen und die inklusive Schule nach Art. 30b Abs. 1 BayEUG ein Ziel der Schulentwicklung aller Schulen. Bayern verfolgt hier den Ansatz der „Inklusion durch eine Vielfalt schulischer Angebote“, der weiterhin auch Förderschulen als mögliche schulische Lernorte vorsieht.
Jede Schulklasse ist heterogen. Lehrkräfte sind darauf eingestellt, Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, die in einem bestimmten Schulfach sehr gute Leistungen erzielen und gleichzeitig Schüler mit Lernschwierigkeiten oder Teilleistungsschwächen. Leistungsstarke Schüler werden dabei ebenso gefördert wie Schüler mit einem bestimmten Förderbedarf. Bereits im Studium werden die Lehrkräfte auf diese Herausforderung vorbereitet. Weiter steht ein umfassendes Fortbildungsangebot für Lehrkräfte zur Verfügung, das Fordern und Fördern gleichwohl berücksichtigt.
Für die Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich Lernen bietet Bayern vielfältige Angebote. Dabei soll für jedes Kind der beste Bildungsweg ermöglicht werden. Erziehungsberechtigte in Bayern haben im Rahmen eines auführlichen Diagnose- und Beratungsprozesses die Möglichkeit, sich für die Beschulung ihres Kindes in der Förderschule zu entscheiden oder für den Weg der Einzelinklusion an einer allgemeinen Schule. Darüber hinaus gibt es noch Möglichkeiten der Beschulung in Partner- und Kooperationsklassen, in denen Kinder mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf in verschiedener Form gemeinsam unterrichtet werden. In allen Beschulungsformen werden diese Schülerinnen und Schüler durch Sonderpädagogen begleitet. Die hohe Nachfrage von Eltern nicht behinderter Kinder nach einer Beschulung in einer Partnerklasse zeigt, dass nicht behinderte Schülerinnen und Schüler in hohem Maße und vielfältiger Weise von der gemeinsamen Unterrichtung profitieren. Kognitive, soziale und kommunikative Kompetenzen werden beim gemeinsamen Lernen erfolgreich gefördert. Bei allen Formen gemeinsamer Unterrichtung wird darauf geachtet, dass sowohl Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf behinderungsspezifische Förderung erhalten als auch die übrigen Schülerinnen und Schüler entsprechend auf Anforderungen, z. B. Übertritt, vorbereitet werden.
Das Staatsministerium ist sich der Herausforderungen bezüglich des Umgangs mit der heterogenen Schülerschaft bewusst. Es gilt, jedes Kind und jeden Jugendlichen in seiner Individualität wahrzunehmen und zu fördern – die leistungsstarken Schülerinnen und Schüler ebenso wie diejenigen mit Förderbedarf bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf. Wenn Heterogenität in der Schule positiv genutzt wird, profitieren alle Lernenden. Vielfalt wird als normal erlebt, soziales Lernen und damit die Entwicklung von Werten, Einstellungen und gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein werden gefördert.