Frage an Michael Paul von Norbert F. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Dr. Paul,
wenn ich es richtig noch im Kopf habe, wurde auf Grund eines Gesetzes die Laufzeit der AKW verlängert. Nun habe ich den Eindruck gewonnen, dass auf Grund eines Beschlusses der Bundesregierung die Verlängerung ausgesetzt wurde. Liege ich da falsch, wenn ich meine, Gesetzte sind Angelegenheit des Bundestages?
Wie ist denn Ihre Meinung zum Thema Atomkarft?
Sehr geehrter Herr Fallenstein,
die Ereignisse, die am 11. März 2011 im Kernkraftwerk Fukushima durch eine schreckliche Naturkatastrophe ausgelöst wurden, zwingen uns zum Innehalten. Aus meiner Sicht muss nach einem solchen Unfall sehr sorgfältig geprüft werden, ob Fehler, die in den japanischen Anlagen aufgetreten sind, zum Beispiel bei der Notstromversorgung, auch bei deutschen Reaktoren vorkommen können. Auch müssen die Annahmen auf den Prüfstand, die wir bislang der Auslegung der Kernkraftwerke in Deutschland zugrunde gelegt haben, zum Beispiel die Stärke von Erdbeben.
Deshalb begrüße ich die Entscheidung der Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel, in diesem Lichte alle deutschen Reaktoren innerhalb der nächsten drei Monate einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Acht Reaktoren, davon die sieben ältesten, werden dazu für diesen Zeitraum vom Netz genommen und im Stillstand untersucht. Sicherheit hat jederzeit Vorrang.
Im Hinblick auf die von Ihnen angesprochene rechtliche Grundlage muss hier differenziert werden. Für die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken war eine Änderung des Atomgesetzes (AtG) notwendig, weil dieses in der durch die rot-grüne Bundesregierung an den Vertrag mit den Energieversorgern angepassten Fassung aus dem Jahr 2002 für einzelne Anlagen Reststrommengen unmittelbar vorsah, die im Falle einzelner Anlagen zur Beendigung des Leistungsbetriebes geführt hätten.
Im Gegensatz dazu ist für eine durch die zuständigen (Landes-) Aufsichtsbehörden anzuordnende Unterbrechung des Leistungsbetriebes mit der Regelung des § 19 Absatz 3 AtG eine Rechtsgrundlage bereits im Gesetz vorhanden. Die einstweilige Unterbrechung des Leistungsbetriebes kann daher, wie nun geschehen, durch die Landesatomaufsichts-behörden als Exekutivorgan angeordnet werden. Ob diese Anordnungen rechtmäßig waren, wird am Ende von Gerichten entschieden.
In den drei Monaten dieser Maßnahme müssen wir zunächst die grundsätzliche Frage neu beantworten, ob wir in Deutschland – auch unter den durch die Katastrophe in Japan veränderten Rahmenbedingungen – bereit sind, weiterhin das Restrisiko aus der Nutzung von Kernenergie zu tragen und falls ja, für wie lange. Bei der Laufzeitverlängerung im Bundestag vor wenigen Wochen habe ich – auch wegen des hohen Sicherheitsniveaus der Anlagen in Deutschland – diese Frage mit einem klaren „ja“ beantwortet.
Nach den einschneidenden Ereignissen in Fukushima muss diese Frage aber neu – und zwar nicht allein durch die Politik, sondern unter Einbeziehung aller gesellschaftlicher Gruppen – ergebnisoffen diskutiert werden.
In diesem Diskussionsprozess stellen sich nach wie vor folgende Fragen:
• Welche Energieträger sollen wir in Zukunft einsetzen: Braunkohle, Steinkohle, Gas, Sonne, Wind, Biomasse? Keiner ist nur vorteilhaft.
• Was müssen wir tun, damit es nicht zu Stromausfällen kommt?
• Welchen Strompreis sind wir bereit zu akzeptieren?
• Welche Auswirkungen haben höhere Energiepreise auf die deutsche Industrie und die – insbesondere mittelständischen – Unternehmen?
• Wie unabhängig von Importen soll unsere Energieversorgung sein?
• Welchen Einfluss auf unsere Sicherheit hat es, wenn wir in Deutschland unsere 17 Kernkraftwerke vom Netz nehmen, wenn in ganz Europa rund 150 Kernkraftwerke am Netz bleiben, davon allein über 50 in unserem Nachbarland Frankreich?
• Falls wir Kernenergie weiter nutzen wollen, für wie lange und mit welchen Sicherheitsanforderungen?
• Wie können wir unseren Energieverbrauch senken?
• Wie finanzieren wir den Umbau unseres Energiesystems, hin zu mehr erneuerbaren Energien? Wie können wir den Umbau beschleunigen?
Diese Fragen haben wir zuletzt im Herbst letzten Jahres beantwortet. Das Ergebnis war das Energiekonzept der Bundesregierung. Darin wurden die Laufzeiten der Kernkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre verlängert und – insbesondere finanziert aus der Abschöpfung der Gewinne aus dieser Laufzeitverlängerung – über 30 Mrd. € in den nächsten Jahren für den Umbau des Energiesystems und für Energieeinsparung zur Verfügung gestellt.
Auch wenn wir vor dem Hintergrund der Katastrophe in Japan nun im Hinblick auf die Frage, ob wir das Restrisiko der Kernenergienutzung weiterhin für eine begrenzte Zeit zu tragen bereit sind, zu einer anderen Bewertung als bisher gelangen, müssen die oben aufgeworfenen Fragen beantwortet werden, wenn wir auch in Zukunft eine verantwortbare, zuverlässige, sichere und saubere Energieversorgung in Deutschland haben wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Michael Paul, MdB