Frage an Michael Paul von Michael S. bezüglich Recht
Würden Sie ihre Entscheidung gegen einen Austritt aus der Kernkraft heute anders treffen?
Würden Sie einen Volksentscheid zum Austritt aus der Kernkraft befürworten?
Sehr geehrter Herr Schubert,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 15.03.2011.
Die Ereignisse, die am 11. März 2011 im Kernkraftwerk Fukushima durch eine schreckliche Naturkatastrophe ausgelöst wurden, zwingen uns zum Innehalten. Aus meiner Sicht muss nach einem solchen Unfall sehr sorgfältig geprüft werden, ob Fehler, die in den japanischen Anlagen aufgetreten sind, zum Beispiel bei der Notstromversorgung, auch bei deutschen Reaktoren vorkommen können. Auch müssen die Annahmen auf den Prüfstand, die wir bislang der Auslegung der Kernkraftwerke in Deutschland zugrunde gelegt haben, zum Beispiel die Stärke von Erdbeben.
Deshalb begrüße ich die Entscheidung der Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel, in diesem Lichte alle deutschen Reaktoren innerhalb der nächsten drei Monate einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Acht Reaktoren, davon die sieben ältesten, werden dazu für diesen Zeitraum vom Netz genommen und im Stillstand untersucht. Sicherheit hat jederzeit Vorrang.
In diesen drei Monaten müssen wir zunächst die grundsätzliche Frage neu beantworten, ob wir in Deutschland – auch unter den durch die Katastrophe in Japan veränderten Rahmenbedingungen – bereit sind, weiterhin das Restrisiko aus der Nutzung von Kernenergie zu tragen und falls ja, für wie lange. Bei der Laufzeitverlängerung im Bundestag vor wenigen Wochen habe ich – auch wegen des hohen Sicherheitsniveaus der Anlagen in Deutschland – diese Frage mit einem klaren „ja“ beantwortet.
Nach den einschneidenden Ereignissen in Fukushima muss diese Frage aber neu – und zwar nicht allein durch die Politik, sondern unter Einbeziehung aller gesellschaftlicher Gruppen – ergebnisoffen diskutiert werden.
In diesem Diskussionsprozess stellen sich nach wie vor folgende Fragen:
• Welche Energieträger sollen wir in Zukunft einsetzen: Braunkohle, Steinkohle, Gas, Sonne, Wind, Biomasse? Keiner ist nur vorteilhaft.
• Was müssen wir tun, damit es nicht zu Stromausfällen kommt?
• Welchen Strompreis sind wir bereit zu akzeptieren?
• Welche Auswirkungen haben höhere Energiepreise auf die deutsche Industrie und die – insbesondere mittelständischen – Unternehmen?
• Wie unabhängig von Importen soll unsere Energieversorgung sein?
• Welchen Einfluss auf unsere Sicherheit hat es, wenn wir in Deutschland unsere 17 Kernkraftwerke vom Netz nehmen, wenn in ganz Europa rund 150 Kernkraftwerke am Netz bleiben, davon allein über 50 in unserem Nachbarland Frankreich?
• Falls wir Kernenergie weiter nutzen wollen, für wie lange und mit welchen Sicherheitsanforderungen?
• Wie können wir unseren Energieverbrauch senken?
• Wie finanzieren wir den Umbau unseres Energiesystems, hin zu mehr erneuerbaren Energien? Wie können wir den Umbau beschleunigen?
Diese Fragen haben wir zuletzt im Herbst letzten Jahres beantwortet. Das Ergebnis war das Energiekonzept der Bundesregierung. Darin wurden die Laufzeiten der Kernkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre verlängert und – insbesondere finanziert aus der Abschöpfung der Gewinne aus dieser Laufzeitverlängerung – über 30 Mrd. € in den nächsten Jahren für den Umbau des Energiesystems und für Energieeinsparung zur Verfügung gestellt.
Auch wenn wir vor dem Hintergrund der Katastrophe in Japan nun im Hinblick auf die Frage, ob wir das Restrisiko der Kernenergienutzung weiterhin für eine begrenzte Zeit zu tragen bereit sind, zu einer anderen Bewertung als bisher gelangen, müssen die oben aufgeworfenen Fragen beantwortet werden, wenn wir auch in Zukunft eine verantwortbare, zuverlässige, sichere und saubere Energieversorgung in Deutschland haben wollen. Die Entscheidung, ob diese Energieversorgung in Zukunft auch durch Kernkraftwerke sichergestellt werden wird, hängt von dem Ergebnis der Überprüfung ab, das für diesen Fall zeigen muss, dass auch unter Berücksichtigung von Naturphänomenen wie in Japan der sichere Betrieb aller Anlagen stets gewährleistet ist.
Eine Volksabstimmung über diese Frage halte ich deshalb im Hinblick auf diese Frage nicht für zielführend, weil es für mich nicht denkbar ist, eine Frage zur Abstimmung zu stellen, die allen soeben aufgeworfenen Problemstellungen hinreichend Rechnung trägt. Zudem erachte ich es nicht als sinnvoll, die gewählten Abgeordneten in schwierigen Entscheidungsprozessen durch eine Volksabstimmung aus ihrer übernommenen Verantwortung als Repräsentanten der Bürgerinnen und Bürger zu entlassen. Dies gilt nicht nur für Fragen der Kernenergienutzung, sondern auch für alle anderen gesellschaftlich umstrittenen Entscheidungen.
Ich hoffe, Ihnen mit meinen Ausführungen dienlich gewesen zu sein und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Dr. Michael Paul, MdB