Frage an Michael Gwosdz von Christine L. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Gwosdz,
in der jetzt veröffentlichten Schulgesetznovelle ist in § 14 vorgesehen, dass die Primarschule den Kindern in sechs Jahren je nach ihrem individuellen Lernfortschritt die Kenntnisse vermitteln soll, welche einen Übergang in die Sekundarstufe I ermöglichen. Wenn es eine individuelle Förderung gibt, stellt sich für mich die Frage, was mit den Kindern geschieht, welche nach 4 oder 5 Jahren bereits die erforderlichen Kenntnisse erlangt haben. Sollen diese Kinder sich 1 Jahr lang mit Wiederholungen beschäftigen und sich langweilen? Am Ende des 1. Schuljahres meiner Tochter ist im Bereich der Lese- und Schreibkompetenz bereits jetzt ein Unterschied von ca. 4 Monaten im Lernfortschritt der Kinder erkennbar, trotz der Tatsache, dass alle Kinder (mit einer Ausnahme) bereits bei der Einschulung fließend Deutsch konnten und die Eltern sich um die Hausaufgaben kümmern.
Mit freundlichen Grüßen
Christine Lingenfelser
Sehr geehrte Frau Lingenfelser,
bitte entschuldigen Sie die späte Veröffentlichung der Antwort auf Ihre Frage, die ich eben als noch unbeantwortet entdeckt habe.
Individuelle Förderung bedeutet eben nicht, dass sich Kinder mit Wiederholungen beschäftigen und sich langweilen. Das Gegenteil ist der Fall! Unterschiede - auch von vier Monaten sind vollkommen normal und sprechen nur für die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler, von der wir ausgehen und die real ist. Es wird niemals eine derart homogene Gruppe oder Klasse geben, in der 20 Menschen oder mehr auf ein und demselben Stand sind. Es gilt also mit diesen Unterschieden umzugehen. Sie zu akzeptieren ist eine Grundbedingung für das Gelingen individueller Förderung. Genau deshalb ist die neue Kultur des Lernens, die die Kinder als Individuen betrachtet und nicht Lernen im Gleichschritt verordnet, ein zentraler Bestandteil der Schulreform.
Wenn in § 14 steht, "die Primarschule vermittelt allen Schülerinnen und Schülern in einem gemeinsamen Bildungsgang grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten und schafft so die Grundlage für die weitere schulische Bildung. Sie vermittelt den Schülerinnen und Schülern je nach ihren individuellen Lernfortschritten in einem sechsjährigen Bildungsgang die Kompetenzen, die den Übergang in die Sekundarstufe I ermöglichen", steht dies für den gesetzlichen Auftrag der Primarschule, alle Kinder so zu fördern, dass kein Kind nach Besuch der Primarschule den Anforderungen der Sekundarstufe I NICHT gewachsen sein könnte.
Kinder, die anderen voraus sind, werden selbstverständlich weiterhin gefördert und müssen nicht auf dem bisher erlangten Niveau verharren, sobald sie die Mindestanforderungen für den Übergang auf die Sekundarstufe I erlangt haben. Natürlich werden die Kinder weiter gefördert und gefordert, so dass sie Ihre Kompetenzen Schritt für Schritt erweitern können. Die Leitidee der Schulreform ist es, allen Kindern in ihren Fähigkeit gerecht zu werden - die künftige Schule ist sowohl gerecht als auch leistungsstark.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Gwosdz