Wie stellen Sie sich dazu, dass Rentner keinen Zuschuss zur Pflegepflichtversicherung erhalten?
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Frage, die sich vermutlich darauf bezieht, dass sich bei freiwillig versicherten Rentnerinnen und Rentnern der Rentenversicherungsträger immer noch hälftig an den Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung beteiligt. Bis zum 31. März 2004 erhielten ja alle Rentenempfänger grundsätzlich 50 Prozent Beitragszuschuss vom Träger der Rentenversicherung, seither müssen die gesetzlich versicherten Rentnerinnen und Rentner aber den vollen Beitrag allein tragen. In dieser Zeit traf es auch die Betriebsrentner und Betriebsrentnerinnen und die Direktversichertengeschädigten hart, deren Leistungen seit dieser Zeit mit dem vollen Beitragssatz verbeitragt wurden.
Ich zitiere für Sie zu Ihrem besseren Verständnis noch einmal ausführlich aus der damaligen – wirklich schwachen – Begründung der Bundesregierung:
„Derzeit tragen die Rentner den Beitragssatz zur Pflegeversicherung der Rentner in Höhe von 1,7 Prozent zur Hälfte, also 0,85 Prozent. Bislang war es der gesetzlichen Rentenversicherung möglich, neben ihrem herkömmlichen Leistungsspektrum die Hälfte der Beitragslast der Rentnerinnen und Rentner in der 1995 eingeführten Sozialen Pflegeversicherung zu übernehmen. Die Leistungen wurden gewährt, obwohl die Rentner, denen diese Leistungen heute zugute kommen, während ihrer Erwerbsphase regelmäßig nicht oder nur kurz durch eigene Beiträge zur Finanzierung beigetragen haben. Aufgrund der aktuellen finanziellen Situation der gesetzlichen Rentenversicherung kann diese Leistung jedoch nicht weiter von ihr erbracht werden. Bei der Einführung der Pflegeversicherung haben die Arbeitnehmer durch den Verzicht auf einen Feiertag zur Finanzierung beigetragen. Die Belastung der Rentner wird nunmehr ähnlich wie bei den Aktiven ausgestaltet“ (Drucksache 15/1830, S. 8).
2008 wurde eine Verfassungsbeschwerde gegen den Wegfall der hälftigen Beteiligung nicht zur Entscheidung angenommen. Das BVerfG hat sich dabei aber nur darauf bezogen, dass der Eigentumsschutz gewahrt bleiben würde und durch den vollen Beitragssatz keine existenzbedrohende Kürzung der Rente festzustellen sei und sich zur Frage der Gleichbehandlung nicht geäußert (1 BvR 2995-06).
Zumindest beim Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung gab es eine gegenläufige Entwicklung: Seit dem 01.01.2019 tragen der Rentenversicherungsträger und das Mitglied die vollen Beiträge einschließlich des Zusatzbeitrags(-satzes) nach § 242 wieder jeweils zur Hälfte. Zuvor waren Rentner mit den vollen Zusatzbeitragssatz belastet, ohne dass dies verfassungsrechtlichen Bedenken begegnete. Es ist also - um es kurz zu machen - ein absolutes Chaos, das noch größer werden würde, wenn man die Ausnahmen bei Betriebsrenten, Waisenrenten oder Auslandsrenten noch dazu nehmen würde oder wenn man gar in die Geschichte der Verbeitragung schauen würde, denn da gab es für die unterschiedlichen Versichertengruppe ein komplettes Hin und Her bei den Regelungen. Aber das erspare ich Ihnen. Was man aber daraus lernen kann, wenn man sich einige der Begründungen der jeweiligen Gesetzesänderungen anschaut ist immer das Eine:
Nie ging es um Systematik, Gerechtigkeit oder Gleichbehandlung, sondern immer darum irgendwie von irgendwem ein paar Milliarden Euro im Jahr für eine chronisch unterfinanzierte Pflege- oder Krankenversicherung abzuzwacken. Im gleichen Jahr (2204) wurde ja auch die Rentenanpassung verweigert, um den Rentenbeitrag zu stabilisieren. Kurzfristige „Sparziele“ haben das Beitragsrecht komplett undurchschaubar gemacht.
Bei freiwillig versicherte Rentnern werden zur Kranken- und Pflegeversicherung übrigens alle Einnahmen zur Beitragsbemessung zugrunde gelegt. Nacheinander werden dabei Rente, Versorgungsbezüge, Arbeitseinkommen und sonstige Einnahmen bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt.
Zu sonstigen Einnahmen zählen Bezüge, die für die sogenannte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds relevant sind – zum Beispiel Mieteinnahmen. Freiwillige Mitglieder tragen den Beitrag dann zunächst allein. Sie erhalten jedoch vom Rentenversicherungsträger einen Zuschuss zu den aus der Rente zu zahlenden Beiträgen.
Selbstverständlich wäre es möglich, die Pflegeversicherung von allen gesetzlich versicherten Rentnerinnen und Rentnern auch wieder zur Hälfte von der Rentenversicherung bezuschussen zu lassen und damit die Pflegeversicherung nicht nur in der Erwerbsphase, sondern generell wieder paritätisch zu finanzieren. Diesen Beitrag der Rentenversicherung müssten dann die in dieser Zeit Versicherten zahlen. Es wäre also eine „kleine“ Umverteilung von den Beschäftigten, die mehr belastet würden, hin zu den Rentnerinnen und Rentnern, die weniger belastet werden würden. Das ist wohl auch der Grund, warum vor Allem die FDP in der aktuellen Koalition bei einem solchen Unterfangen nicht mitmachen würde.
Ich könnte mir als LINKER gut vorstellen, das zu fordern und es zu unterstützen. Wir haben uns jedoch dafür entscheiden, die Kranken- und Pflegeversicherung mit ihren unterschiedlichen Beitragssätzen für privat Versicherte und viele andere Gruppen komplett zu reformieren. Aber ich bin selbstverständlich ehrlich zu Ihnen:
Ich möchte mich nicht mehr an diesem Kleinklein beteiligen und das Beitragsrecht hier ein bisschen ändern und dort ein bisschen schleifen, sondern es braucht einen kompletten Neuanfang und das wäre bei der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung nur damit zu erreichen, dass man das Nebeneinander von „privat“ und „gesetzlich“ beseitigte, also Alle in eine Versicherung einzahlten, die Beitragsbemessungsgrenze an- und aufgehoben werden würde und dann die Beitragssätze für Alle neu berechnet werden würden. Die Kranken- und Pflegeversicherung der Rentnerinnen und Rentner muss dann ebenfalls neu konzipiert werden und zwar im Interesse der Rentnerinnen und Rentner!
Der LINKEN sind mit Blick auf die Pflegeversicherung vor Allem drei Punkte wichtig, die Sie auch gerne in unserem Programm zur vergangenen Bundestagswahl nachlesen können:
Erstens wollen wir ändern, dass die Pflegeversicherung, die bisher nicht die Kosten der Pflege deckt, sondern bisher eine Teilleistungsversicherung ist, künftig die Kosten komplett tragen möge. Die Teilversicherung hat zur Folge, dass immer mehr Menschen sich gute Pflege nicht leisten können, sich verschulden müssen oder in die Sozialhilfe geraten, was wiederum zu Lasten der kommunalen Haushalte geht. Das muss abgeschafft werden.
Wir LINKEN wollen die Pflegeversicherung grundlegend umbauen:
Mit einer verlässlichen, gerechten und zukunftsfesten Finanzierung wollen wir zudem gute Arbeitsbedingungen und gute Pflege nach wissenschaftlichen Standards sicherstellen.
Unsere „Solidarische Pflegevollversicherung“ soll zweitens alle pflegerischen Leistungen abdecken. Menschen mit Pflegebedarf und ihre Familien sollen keinen Eigenanteil mehr zahlen müssen. Keine Pflegeleistung darf aus Kostengründen verweigert werden.
Wir wollen drittens die private Pflegeversicherung in die gesetzliche überführen. Die finanziellen Lasten müssen gerecht auf alle Schultern verteilt werden.
Auch Beamtinnen und Beamte, Abgeordnete und Selbstständige sollen entsprechend ihrer Einkommen in die Solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung einzahlen müssen: auch auf Einkommen aus Kapitaleinnahmen und ohne eine Beitragsbemessungsgrenze, die die Millionärinnen und Millionäre schont. Damit schüfen wir die finanzielle Grundlage für die Solidarische Pflegevollversicherung.
Durch die drei Elementen unserer Solidarischen Kranken- und Pflegeversicherung, des vergrößerten Versichertenkreises, der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage sowie der Erhöhung bzw. Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze könnten wir eine deutliche Verringerung der Beitragssätze und eine finanzielle Entlastung für einen Großteil der Bevölkerung erreichen!
Die geringeren Beitragssätze erzeugten zudem Spielräume zur Ausweitung des Leistungsumfanges der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung, beispielsweise durch die Abschaffung der Zuzahlungen.
Dies hat eine umfangreiche Studie zu unserem Konzept eindrucksvoll bestätigt:
Im Hinblick auf die sofortige Entlastung der Rentnerinnen und Rentner von Kranken- und Pflegekassenbeiträgen sehe ich übrigens noch ein anderes großes Gerechtigkeitsdefizit:
Seit dem 01.01.2015 ist der allgemeine Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung um 0,9 Beitragssatzpunkte gesenkt und auf 14,6 Prozent festgeschrieben worden. Dieser wurde - und wird - zur Hälfte von den Rentnerinnen und Rentner und der Rentenversicherung getragen. Ausgabensteigerungen der Krankenkassen müssen über den kassenindividuellen Zusatzbeitrag finanziert werden, der bis zum 01.01.2019 von den Rentnerinnen und Rentner alleine und seitdem hälftig getragen wird. Bemessungsgrundlage sind die ausgezahlten Renten und der jeweils geltende Beitragssatz.
Beitragszahler und Beitragszahlerinnen ohne Anrecht auf Krankengeld zahlen aber nur den ermäßigten Beitragssatz von 14,0 Prozent (SGB V § 243 Ermäßigter Beitragssatz). Obwohl eindeutig auf § 50 - und damit den Ausschluss vom Krankengeld für Rentnerinnen und Rentner - Bezug genommen wird, gelten nach § 229 für Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und beamtenrechtlichen oder beamtenrechtsähnlichen Ruhegehältern als Versorgungsbezug die allgemeinen Beitragssätze der §§ 247, 248. Sie haben aber kein Anrecht auf Krankengeld, da die Rente auch beim Krankenhausaufenthalt weitergezahlt wird und eine Arbeitsunfähigkeit per se nicht auftreten kann.
Deshalb wäre es aus meiner Sicht nur folgerichtig, dass auch Rentnerinnen und Rentner nur den ermäßigten Krankenversicherungsbeitrag zahlen müssten.
Ich hoffe, Sie sind mit dieser - zugebenermaßen etwas komplizierten - Antwort zufrieden.
Mein Büro steht Ihnen unter 030 227-71212 jederzeit für Rückfragen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Matthias W. Birkwald MdB
Renten- und Alterssicherungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE