Laut Artikel von Philipp Eckstein über Erwerbstätigkeit im Alter und die niedrigen Renten wurde diese Altersarmut von Ihnen als "unerträglich" benannt.
Sehr geehrter Herr Birkwald,
für die jetzigen Rentner ist der Minijob eine ideale Sache, da sie sowieso keine Abgaben dafür zahlen. Eine Ablehnung von Minijobs ist hier falsch.
Mir hat das Finanzamt Ende 1999 mein Bankkonto gesperrt und mich wegen der Restschuldbefreiung (RSB) aufgefordert, nach knapp 20 Jahren Selbständigkeit als Familien-Nachfolger von 2 Generationen Insolvenzantrag (IA) zu stellen. IA und RSB sind längst abgehakt, aber meine damalige Altersvorsorge war konfisziert. Ein Einstieg als Absolvent der TU Berlin ist mir nicht geglückt. Meine Rente beträgt heute € 338,63 und mit Teilzeit- und Minijob halte ich mich noch über Wasser.
Warum gibt es für gescheiterte Selbständige, die oft mehr als 10 bis 20 Jahre für die Wirtschaft tätig waren, keine Grundrente von sagen wir mal € 1.000?
Warum keine Anerkennung vergangener Leistungen statt Altersarmut?
Welche Möglichkeiten für unsere Gruppe tätig zu werden sehen Sie?
Für Ihre Stellungnahme bereits vorab herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr S.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht. Für ihre beiden Fragen haben wir in unserem Rentenprogramm zwei konkrete Antworten: Wir fordern sowohl eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle Menschen mit Erwerbseinkommen einzahlen mögen, also auch Selbstständige, Freiberufler, Beamte und allen voran Abgeordnete, als auch eine einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente von aktuell 1.250 Euro netto für Alleinstehende zuzüglich Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie gegebenenfalls Wohngeld in besonders teuren Städten und Kommunen mit besonders hohen Mieten.
Beide Konzepte erläutere ich Ihnen im Folgenden gerne näher:
Der Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung ist eines der zentralen Elemente der rentenpolitischen Reformpläne der Linken. Erwerbstätigenversicherung bedeutet, dass alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden mögen und entsprechend für alle Erwerbseinkommen Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden müssen – auch für die von Selbstständigen, Freiberuflerinnen und Freiberuflern, Beamtinnen und Beamten, Managern und Managerinnen und Politikern und Politikerinnen, egal, ob sie Abgeordnete, Ministerinnen, Minister, Staatssekretärinnen, Staatssekretäre oder Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin sind. Analog wären dann im Ruhestand selbstverständlich auch alle Versicherten demselben Leistungsrecht unterworfen.
In Ihrem Fall bedeutete dies, dass Sie auch als Selbstständiger in die Rentenkasse eingezahlt hätten, wenn die Erwerbstätigenversicherung bereits früher eingeführt gewesen wäre.
Übrigens dürfen nach geltendem Recht alle Selbstständigen schon heute freiwillig in die Gesetzliche Rentenversicherung Beiträge einzahlen, zwischen gut 100 Euro und gut 1400 Euro monatlich, je nach Leistungsfähigkeit. Es machen bedauerlicherweise nur viel zu wenige Selbstständige Gebrauch davon.
Bei der Einführung der Erwerbstätigenversicherung geht es nicht nur um den Abbau der Privilegien bestimmter Gruppen:
Wissenschaftliche Untersuchungen zur Erwerbstätigenversicherung zeigen, dass mit einer solchen Ausweitung die gesetzliche Rentenversicherung auch auf mittlere Sicht deutlich stabilisiert werden würde. Je nach Ausgestaltung und Zeitpunkt der Umstellung würde der Beitragssatz bis ins Jahr 2040 gegenüber aktuellen Kalkulationen sinken, das sogenannte Rentenniveau würde hingegen spürbar steigen (das Rentenniveau setzt die Rente eines Menschen, der 45 Jahre lang exakt für das Durchschnittsgehalt gearbeitet hat, zum Durchschnittsgehalt der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ins Verhältnis). Für die Versicherten würde der Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung also eine höhere Rente bei einem niedrigen Beitragssatz bedeuten.
Der Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung ist allerdings ein langwieriger Prozess ist, der nicht mit einem einzelnen Gesetz abgeschlossen werden kann. Die Erwerbstätigenversicherung muss vielmehr über einen längeren Zeitraum realisiert werden, in dem für die neu miteinzubeziehenden Gruppen Übergänge gesichert werden und erworbene Anwartschaften geschützt bleiben (Vertrauensschutz) mögen.
Ginge es nach uns Linken, hätte der Prozess des Umbaus zur Erwerbstätigenversicherung schon längst begonnen. Alle großen Sozialverbände, die mitgliederstärksten DGB-Gewerkschaften ver.di und IG Metall fordern den Umbau der Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung. Die SPD fordert es nur im Wahlkampf, sobald sie in der Regierung ist, verstummt sie bei diesem Thema allerdings.
Ich meine, dass Politiker und Politikerinnen mit gutem Beispiel vorangehen sollten und habe entsprechend in der vergangenen Legislaturperiode als ersten Schritt hin zur Erwerbstätigenversicherung den Antrag „Bundestagsabgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen“ (siehe https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/172/1917255.pdf) in den Deutschen Bundestag eingebracht.
Einen detaillierteren Überblick über die Forderungen der Linken im Hinblick auf die deutsche Alterssicherungspolitik können Sie sich bei Interesse unter https://www.dielinkebt.de/themen/a-z/detailansicht/rentenpolitik/
oder auf meiner Website
www.matthias-w-birkwald.de verschaffen.
Auch Ihre Frage nach einer "Grundrente" ist völlig berechtigt. Wir wollen keine Grundrente, die typischerweise meint, dass man ohne jegliche Einzahlung eine Rente aus Steuermitteln erhält, so wie zum Beispiel in den Niederlanden und Schweden. Dort erhält man einen Grundrentenbetrag, wenn man eine bestimmte Anzahl von Jahren in dem Land gewohnt hat, ohne jemals eingezahlt zu haben. An dieser Erklärung können Sie auch erkennen, dass die sogenannte "Grundrente" in Deutschland überhaupt keine Grundrente ist. Bei dem Modell von SPD und CDU werden lediglich niedrigere Einkommenszeiten höher bewertet. Im Durchschnitt liegen die Zuschläge bei um die 80 Euro. Besser als nichts, aber feiern kann man sich dafür nicht.
Wir fordern daher eine Solidarische Mindestrente von aktuell 1250 Euro netto monatlich für Alleinstehende. Diese ist leider bitter nötig, da durch die zu Beginn der Jahrtausendwende von der damaligen rot-grünen Bundesregierung initiierte Rentenkürzungspolitik und deren Fortführung durch die folgenden schwarz-roten bzw. schwarz-gelbe Regierungen das Leistungsniveau der gesetzlichen Rente massiv abgeschwächt wurde. Seitdem reicht die Rente für immer mehr Seniorinnen und Senioren zum Leben nicht mehr aus. Nach dem Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes 2023 erreichte die Altersarmut ein neues Rekordhoch. Demnach müssten mittlerweile 18,1 Prozent aller über 64-jährigen und 18,7 Prozent aller Rentnerinnen und Rentner zu den Armen gerechnet werden. Dieser Wert habe sich im Vergleich zu 2006 fast verdoppelt. Auch eine Frage meines geschätzten Kollegen Dr. Dietmar Bartsch MdB an das Statistische Bundesamt machte Erschreckendes deutlich: Demnach verfügen 42 Prozent aller Rentnerinnen und Rentner über ein monatliches Gesamtnettoeinkommen von unter 1250 Euro monatlich, der Armutsschwelle der EU für Deutschland nach EU-SILC.
Die aktuelle sogenannte „Grundsicherung im Alter“ soll hier Abhilfe schaffen. Um diese viel zu niedrig bemessene Leistung zu erhalten, muss man sich jedoch einer rigorosen Einkommens- und Vermögensprüfung unterziehen, die von den Betroffenen zurecht als entwürdigend empfunden wird. Neben den Korrekturen der rentenpolitischen Fehlentwicklungen spricht sich Die Linke daher - ähnlich wie Sie - dafür aus, dass für alle in Deutschland lebenden Menschen ab 65 Jahren (und im Falle voller Erwerbsminderung auch vorher) eine Solidarische Mindestrente eingeführt wird, mit der das Einkommen im Alter, sofern es unter 1.250 im Monat liegt, mit einem aus Steuern finanzierten Zuschlag auf 1.250 Euro netto angehoben werden möge. Zusätzlich sollen die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung übernommen werden. Parallel dazu wollen wir das Wohngeld reformieren, damit Menschen, die in teuren Wohngebieten leben und auf die Solidarische Mindestrente angewiesen sein werden, nicht in Armut leben müssen.
Ich bin ehrlich Herr S., das sind unsere Wunschvorstellungen für ein besseres Rentensystem. Leider sieht es aktuell politisch um meine Partei nicht gut aus und obwohl wir im Bereich der Rentenpolitik mit den Gewerkschaften und Sozialverbänden Verbündete haben, so braucht es auch in der Bevölkerung ein besseres Verständnis des Rentensystem. Wir müssen alle gemeinsam für unsere Interessen eintreten und dürfen uns nicht von den marktradikalen Ökonominnen und Ökonomen einreden lassen, das Rentensystem funktioniere nicht mehr. Denn die haben ein Interesse daran, den Sozialstaat komplett herunterzufahren. Das dürfen wir nicht zulassen.
Wenn Sie sich in Ihrer Gruppe der Selbstständigen engagieren wollen, kann ich Ihnen noch das Haus der Selbstständigen empfehlen (https://hausderselbststaendigen.info/), die sich ebenfalls für eine Verbesserung der Alterssicherung von Selbstständigen einsetzen.
Und falls Sie mit „unsere Gruppe“ die Gruppe der Linken im Bundestag gemeint haben sollten, so darf ich Ihnen mitteilen, dass wir nur noch sehr wenige Anträge im Plenum des Bundestages debattieren dürfen und dies nur abends und nachts.
Die jüngsten zur Rente sind diese gewesen:
Weitere werden folgen.
Ich hoffe, Ihre Fragen damit zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Ihr Matthias W. Birkwald MdB