Frage an Matthias W. Birkwald von Friedlinde N.
Sehr geehrter Herr Birkwald,
warum müssen Renten immer in Prozent ausgezahlt werden, denn wer wenig Rente
bezieht wird immer weniger Geld zu Verfügung haben. Wäre es nicht für alle gerechter, einen Durchschnitt zu zahlen oder den Rentnern die erheblich viel
Rente erhalten bis zu einem gewissen Bemessungsbeitrag (z.Beispiel 2.500.- Euro)von der Erhöhung auszuschließen und dieses Geld nutzen den Rentnern die
immer gearbeitet und wenig Lohn erhalten haben die Rente aufzustocken. Man könnte dann die Grundsicherung abschaffen, die viele Rentner nicht in Anspruch nehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Friedlinde Nitsche
Sehr geehrte Frau Nitsche,
das ist wirklich ein sehr interessanter und auch ein sehr grundsätzlicher Reformvorschlag von Ihnen. Er kommt auch dem Reformkonzept der LINKEN - zumindest für Geringverdienende - sehr nahe. Wir fordern eine Solidarische Mindestrente und wollen damit erreichen, dass unabhängig vom Einkommen, dass jemand während seiner aktiven Phase erzielt hat, niemand im Alter von weniger als 1050 Euro netto leben muss. Die Beitragsbemessungsgrenze, die 2016 bei 6.200 Euro monatlichen Bruttoeinkommens liegen wird, wollen wir abschaffen, so dass auch Besserverdienende zur Finanzierung der Gesetzlichen Rentenversicherung nach ihrer Leistungsfähigkeit beitragen müssen und gleichzeitig deren Rentenansprüche abflachen, wie Sie es ja ebenfalls vorschlagen.
Allerdings wollen wir auch, dass so wenig wie möglich Menschen auf diese Solidarische Mindestrente angewiesen sein sollen. Deshalb wollen wir die herkömmliche beitragsorientierte Gesetzliche Rente stärken und insoweit an der bisherigen Berechnung der Rente, die sich an den Löhnen, die man während eines Erwerbslebens erzielt, festhalten.
Die Rente entwickelte sich nach 1957 von einem Notgroschen, der das Überleben im Alter sichern sollte, zu einem echten Lohnersatz. Ihr Ziel war es, den einmal erreichten Lebensstandard zu sichern und ein würdevolles Leben im Alter zu gewährleisten. Dazu wurde die Rente zweifach dynamisiert bzw. an die Entwicklung der Löhne gekoppelt: Zum einen wurde sie gekoppelt an die relative Position der individuellen Einkommen während eines Arbeitslebens. Die Faustformel lautet heute: Ein halber Durchschnittsverdienst ergibt einen halben Entgeltpunkt, ein Durchschnittsverdienst einen ganzen Entgeltpunkt. Zeiten der Arbeitslosigkeit und Zeiten mit niedrigen Löhnen wirken sich also – wie Sie auch schreiben - als fehlende oder niedrige Entgeltpunkte aus.
Zum anderen wird die Höhe der aktuell ausgezahlten Renten jährlich an die jeweiligen Durchschnittslöhne der gesamten Volkswirtschaft angepasst. Dafür werden die Entgeltpunkte jährlich zum 1. Juli mit dem aktuellen Rentenwert multipliziert. Damit sollen Kaufkraftverluste weitgehend reduziert werden. Finanziert werden diese Leistungen über ein Umlageverfahren, das über einen solidarischen Generationenvertrag legitimiert wird.
Das war einmal. Vom Prinzip der Lebensstandardsicherung als Ziel abgerückt zu sein, den Generationenvertrag durch einen Generationenkonflikt aufgekündigt und die Umlagefinanzierung durch eine kapitalgedeckte Vorsorge unterminiert zu haben, das sind die größten Sündenfälle die SPD, Grüne, Union und FDP zu verantworten haben. Aus einer Rente mit definierten Leistungen wurde ab dem Jahr 2001 eine Rente mit definierten Beiträgen.
Das Ziel, den Lebensstandard im Alter zu sichern, wurde so in den vergangenen 15 Jahren systematisch zerstört. Und zwar mit Hilfe der Beitragssatzbegrenzung und den drei Kürzungsfaktoren: dem Nachhaltigkeitsfaktor, dem Nachholfaktor und dem sogenannten Riesterfaktor. Dahinter verbergen sich komplizierte Berechnungen und Rückwirkungen. Denn heute steht einerseits im Vordergrund, die Beiträge zur Rentenversicherung zu senken bzw. zu begrenzen – die Arbeitnehmer*innen sollen ja schließlich „riestern“ und die Arbeitgeber*innen sollen nicht stärker belastet werden – und andererseits die Ausgaben zu drosseln. Mehrausgaben im einen Jahr führen deshalb automatisch zu niedrigeren Rentenerhöhungen im Folgejahr.
Dieser fatale und durch die komplizierten Formeln auch geschickt entpolitisierte Automatismus zeigt sich aktuell besonders deutlich: Die Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel drücken schon ohne das aktuelle Rentenpaket das „Sicherungsniveau der Rente vor Steuern“ – also das Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittseinkommen – von 53 Prozent (im Jahr 2000) auf 43 Prozent (2030).
Wer echte Teilhabe der Älteren will, muss endlich die Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsformel streichen und wieder zu einem Rentenniveau von 53 Prozent wie im Jahre 2000 zurückkehren. Das fordern auch die Gewerkschaften und Sozialverbände und das würde in den kommenden Jahren die Renten der älteren Generation stabilisieren. Dieser Weg würde zugleich auch die Jüngeren davon überzeugen, nicht nur auf die Höhe ihrer Beiträge zu schielen, sondern mit einem Blick auf die jährliche Renteninformation zu sehen: Die gesetzliche Rente ist sicher – und zwar deutlich sicherer als jede privat finanzierte Zusatzversicherung. Die Deutsche Rentenversicherung hat kürzlich errechnet, dass beispielsweise verheiratete Männer und Frauen, die 2040 in eine gesetzliche Rente gehen, noch mit einer Rendite von 3,3 Prozent rechnen können. Das sind Werte von denen man bei Riesterverträgen nur träumen kann!
Eine moderate jährliche Beitragserhöhung würde zusammen mit einem Ende der unsinnigen Riesterförderung finanzielle Spielräume für diese Große Rentenreform eröffnen. Denn damit könnte das Rentenniveau stabilisiert, die Regelaltersgrenze wieder von 67 auf 65 gesenkt und eine armutsfeste Erwerbsminderungsrente geschaffen werden. Das sind aktuell die wichtigsten Herausforderungen.
Sie haben aber Recht: Wer auf lange Phasen mit schlechten Löhnen, Arbeitslosigkeit oder Krankheit zurückblicken muss, erreicht auch mit einem guten Rentenniveau keine Rente, die im Alter ein Leben frei von Armut ermöglicht. DIE LINKE fordert deshalb eine steuerfinanzierte, einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente von 1.050 EUR netto.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Matthias W. Birkwald