Frage an Matthias W. Birkwald von Christoph S. bezüglich Familie
Viele staatliche Großprojekte sind am Ende teuer und dauern länger bis zur Inbetriebnahme als von der Politik erhofft. Kann es sein, dass dies auch mit dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz so geht, weil die dafür nötigen Immobilen und das Personal kurzfristig nicht zu beschaffen sind?
Kann es sein, dass der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz als verfassungswidrig ist, weil die Gemeinden damit überfordert werden?
Ist der Beruf „Erzieher“ Ihrer Meinung nach auskömmlich? Ab dem wievielten Kind ist ein Doppelverdiener-Erzieher-Ehepaar auf Harz 4-Aufstocken angewiesen? Oder sollte sich zumindest einer einen besser bezahlten Job suchen?
Wie groß ist ihrer Meinung nach der zumutbare Umweg auf dem Weg zur Arbeit oder die weiteste Entfernung zum Wohnort für einen Ersatzkindergarten? Ist die Benutzung des Fahrrads zumutbar? Wie lange höchsten Reisezeit im ÖPNV? Kann ein Auto vorausgesetzt werden?
Qualitätsmangel aus Personalmangel?
Kann es sein dass die gegen das Betreuungsgeld angeführten Qualitätsargumente der Kitas sich nicht realisieren lassen?
? Kompromiss zur CSU?: das Betreuungsgeld solange bezahlen, bis die Kindergärten qualitativ, quantitativ, Öffnungszeiten ok sind?
kurze Öffnungszeiten: Sind K. nur für Teilzeitler mit kurzem Pendelweg gedacht oder haben auch Vollzeit-Fernpendler (ca 10-12h Abwesenheit) und Wechselschichtler einen Anspruch auf einen Kitaplatz während ihrer Arbeits- und Pendelzeit?
Gibt es in der Grundschulzeit dann wieder eine Betreuungslücke?
Kitas werden mit über 1000Euro pro Kind und Monat subventioniert. Lohnt sich das? Viele Eltern verdienen doch gar nicht so viel, besonders bei mehreren Kindern oder Teilzeitlern. Ist es nicht gesamtwirtschaftlich viel billiger, wenn die Eltern auf die Kinder selber aufpassen?
Spielkreis statt Vollzeit-Kita: Statt dessen Erziehungsergänzung und Vorschule in pädagogisch wertvollen Kleingruppen mit 15h/Woche, sodass die knappen Ressource effektiv für viele Kinder genutzt werden können.
Sehr geehrter Herr Strebel,
vielen Dank für ihre vielfältige Anfrage, die ich soweit und so gut wie möglich beantworten will.
Das Thema Ausbau der Kindertagesbetreuung für unter dreijährige Kinder ist tatsächlich eine der größten und wichtigsten Baustellen der aktuellen Familienpolitik. Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass viele Menschen weniger Kinder bekommen, als sie sich eigentlich wünschen. Hauptgrund ist für viele Menschen die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine unzureichende ökonomische/finanzielle Grundlage. Dazu gehört neben den Fragen fehlender oder schlecht bezahlter Arbeitsplätze, befristeter Arbeitsverträge, Teilzeitstellen, hoher räumlicher und zeitlicher Flexibilitätserwartungen der Arbeitgeber vor allem die Frage der fehlenden bedarfsdeckenden und bezahlbaren (gebührenfreien) Kinderbetreuung.
Der Rechtsanspruch wie auch die Ausbauziele der Bundesregierung sind von Anfang an hinter diesen Wünschen und Erfordernissen der Eltern weit zurück geblieben. So bezieht sich der Rechtsanspruch keinesfalls auf eine ganztägige Betreuung. Ein Vollzeitjob oder auch nur vollzeitnahe Teilzeitstelle wird damit für viele Eltern weiterhin unvereinbar mit Kindern bleiben. Die Kinderbetreuung ist darüber hinaus gerade für erwerbstätige Eltern regelmäßig gebührenpflichtig. Und nun bekommen sie auch noch 150 Euro Betreuungsgeld, wenn sie das Kind zu Hause behalten. Damit steigt der Konflikt zwischen Job und Kind weiter an. Denn wer auch nur Teilzeit arbeiten geht und dafür sein Kind zeitweise in eine Kita gibt, verliert nicht nur die 150 Euro Betreuungsgeld (das sind rund 300 Euro Bruttolohn) sondern muss auch noch Kitagebühren und weitere Betreuungskosten (Mittagessen etc.) bezahlen. Die Eltern werden also weiterhin vor die Wahl gestellt: Beruf oder Kinder. Meist sind es dann die Frauen, die ihren Beruf ganz oder weitgehend aufgeben, um die Kinderwünsche umsetzen zu können. Eltern in eine solche Zwangslage zu bringen, ist für uns inakzeptabel.
Der Ausbau bleibt selbst hinter den kärglichen Zielen zurück, die sich die Regierung selbst gesteckt hat. Darüber hinaus fehlen tausende von qualifizierten Erzieherinnen und Erziehern. Das einzige was der Regierung dazu einfällt, ist es, die Qualitätsstandards zu senken. Bei den Gebäuden wird der Brandschutz aufgeweicht, bei der Erzieherinnen- und Erzieherausbildung wird die Anforderung abgesenkt und nach dem Motto verfahren, Erziehung kann doch jede und jeder. Wer in einer Kita mehr als eine Verwahrstation sieht, kann nicht die Qualitätsstandards senken, wenn der Ausbau stockt. Vielmehr müssen die Anstrengungen verstärkt werden und eben auch das dafür notwendige Geld in die Hand genommen werden. Es geht hier schließlich um Kinder und ihre Bildungschancen. Für DIE LINKE ist daher klar: Beim Kitaausbau geht es um hochwertige Kitas sowie um qualifizierte und gut bezahlte Erzieherinnen und Erzieher, nicht um Dumpingbetreuung.
DIE LINKE will einen Rechtsanspruch auf gebührenfreie Ganztageskinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr. Dies umfasst auch Angebote von Ganztageskindergärten und Ganztagsschule (zumindest jedoch Betreuungsmöglichkeiten am Nachmittag). Nur wenn Eltern Beruf und Familien wirklich vereinbaren können, können sie auch wirklich frei wählen, ob sie ihre Kinder in eine Kita geben, oder ob sie das Kind alleine zu Hause betreuen wollen. Die Kosten müssen von der Gemeinschaft (Bundesregierung) getragen werden, da sie von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie profitiert und die einzelne Kommune damit leicht überfordert sein kann. Und wie in der Schule gilt: Wollen wir den Kindern gute Bildungsmöglichkeiten absprechen, weil es "zu teuer" ist? Und dies in Zeiten, in denen Milliarden bereitgestellt werden, um Banken und Spekulanten vor Verlusten zu bewahren!
Nun will ich noch auf ihre konkreten Fragen eingehen, soweit diese nicht schon beantwortet sind. Großprojekte sprengen tatsächlich oft die gesteckten Grenzen. Allerdings scheint dies generell für solche Projekte zu gelten und ist nicht aus staatliche Projekte begrenzt. Hier ist nur die Aufmerksamkeit besonders hoch. Verbesserungs-fähig ist das Verfahren jedoch offensichtlich.
In wie weit Erzieherinnen oder Erzieher auf Hartz IV angewiesen sind, hängt von den Gegebenheiten vor Ort ab. Klar ist aber, dass von dem spärlichen Gehalt selbst wenn kein Hartz IV beantragt wird, keine großen Sprünge für Familien möglich sind.
DIE LINKE streitet für ein flächendeckendes Angebot an Kitaplätzen, so dass keine erheblichen Umwege (ganz vermeidbar sind sie natürlich nicht) für die Eltern auf dem Weg zur Arbeit notwendig wären. Es wäre natürlich zu prüfen und vorzuziehen, analog zu Schulbussen auch Kitabusse oder ähnliches einzurichten. Denn aus ökologischen wie auch aus Sicherheitsgründen kann es nicht wünschenswert sein, wenn alle Eltern ihre Kinder einzeln bis vor die Kita fahren. Zum Teil herrscht deswegen vor Schulen und Kitas das reinste Verkehrschaos.
Ich hoffe, Ihnen unsere Sicht dargelegt und Ihre Fragen hinreichend beantwortet zu haben. Für mich und meine Partei stehen bei der Frage die Interessen des Kindes sowie der Eltern im Vordergrund unserer Überlegungen. Denn die Kinder haben einen Anspruch auf gute Bildung und Betreuung. Die Eltern haben einen Anspruch, Familien und Beruf vereinbaren zu können. In diesem Sinne setzen wir uns für ein qualitativ hochwertigen Kitaausbau, gute Bezahlung und Arbeitsbedingungen für die Erzieherinnen und Erzieher sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Eltern ein.
Mit freundlichen Grüßen
Matthias W. Birkwald, MdB