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Matthias Gastel
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Frage von Erik D. •

Wird mit dem Neun-Euro-Ticket eine Chance verpasst, den ÖPNV mit als Rückgrat des klimaneutralen Verkehrs zu präsentieren?

Sehr geehrter Hr. Gastel

zuerst möchte ich erwähnen, dass ich gerne den Zug nutze, egal ob ich dienstlich oder privat unterwegs bin. In den letzten Monaten sind meine Vorstellungen einer Bahnfahrt (stressfrei, pünktlich, komfortabel) aber immer weniger Realität. Mit der Einführung des Neun-Euro-Tickets hat sich die Situation nach 19 Tagen erheblich verschlechtert. Die Züge sind überfüllt, noch unpünktlicher und das Netz der DB kommt an seine Grenzen. Das sind meine Erfahrungen und ist meine Meinung.

1. Warum wurde das Ticket nicht auf die Gültigkeitsbereiche der Verkehrsverbünde beschränkt und gilt Deutschlandweit?
2. Wurde während der Ankündigung des Tickets mit der DB kommuniziert und Prognosen zu den Auslastungen der Züge erstellt bzw. sind bisher erhobene Daten zur Auslastung mit in die Planung eingeflossen?
3. Wurden Mitarbeiter der DB an erster Stelle mit einbezogen (Lokführer, Zugbegleiter, Disponenten)? Diese tragen letztendlich ihre Entscheidungen.

Danke & VG
Erik

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Sehr geehrter Herr D.,

danke für Ihre Anfrage.

Die Idee für das Neun-Euro-Ticket ist entstanden, nachdem sich die FDP nicht von ihrer Forderung nach einer „Spritpreisbremse“ hat abbringen lassen. Dieser musste eine Entlastung im Bereich des ÖPNV entgegen gesetzt werden. Die Absenkung der Energiesteuer auf Diesel und Benzin gilt bundesweit, so muss auch das Ticket bundesweit gelten. Zudem wären Begrenzungen der Geltungsbereiche schwierig gewesen: Die Verkehrsverbünde sind sehr unterschiedlich groß. Das gilt auch für die Länder, die diskutiert wurden: Bremen ist viel kleiner als beispielsweise NRW oder Bayern. Man hätte also für die Neun-Euro sehr unterschiedliche Angebote bekommen. Wo hätte man also die Grenzen ziehen sollen? Auch ich persönlich habe mich aus diesen Gründen für eine bundesweite Gültigkeit eingesetzt. Um es nochmal deutlich zu machen: Es handelt sich um ein Element eines Entlastungspakets und nicht um eine verkehrspolitische Maßnahme.

Ich erlebe eine Berichterstattung und politische Kommentierung, die stark von Schwarz-Weiß-Denken geprägt ist. Entweder es wird von überfüllten Zügen berichtet, als ob dies der Regelfall wäre. Die DB spricht von weit unter einem Prozent der Züge, die wegen Überfüllung nicht abfahren können. Hatten wir auch früher schon, gerade zu Pfingsten. Ich selber habe, obwohl ich viel unterwegs bin, seit Monatsbeginn noch keinen solchen Zug gesehen. Die Prognosen, dass sich die Überfüllung von Zügen auf touristisch relevante Relationen sowie auf Strecken, auf denen der Fernverkehr kaum schneller ist sowie auf Wochenenden beschränken, ist eingetroffen. Andere wiederum jubeln über das Ticket, weil so viele davon verkauft wurden und sprechen von einem Riesenerfolg. Wenn man von der Intention ausgeht, dass mit dem Ticket Menschen in Zeiten steigender Lebenshaltungskosten entlastet werden sollen, so ist das Ticket ein Erfolg. Umwelt- und klimaschutzpolitisch wäre das Ticket nur dann ein Erfolg, wenn viele derjenigen, die es nutzen, dafür weniger Auto fahren. Hier sind mit den bisherigen Erfahrungen leider einige Fragezeichen zu setzen. Man merkt, dass der niedrige Preis zusätzliche Verkehre generiert, aber kaum zum Umstieg weg vom Auto animiert. Vermutlich hat dies mit der ausgeprägten Trägheit zu tun, aus eingefahrenen Mobilitätsgewohnheiten auszubrechen - und mit dem mancherorts unzureichenden Angebot. Was festzustellen ist: Das vor dem Billigticket häufig zu hörende Argument, man würde nicht mit dem ÖV fahren, da dieser zu teuer sei, ist eine "billige Ausrede". Die Fahrgastzahlen liegen Dank des Neun-Euro-Tickets übrigens gerade wieder auf dem Niveau der Zeit vor Corona. Also kein wirklicher Zugewinn. Aber umweltpolitisch kommt es ja auch nicht alleine auf die Fahrgastzahlen an.

Was auf jeden Fall positiv ist: Es ist so wunderbar einfach, mit nur einem Ticket überall Bus und Bahn im Nahverkehr nutzen zu können. Das genieße auch ich. Im ZDF-Politbarometer gaben 73% der Befragten an, das Neun-Euro-Ticket gut zu finden. Ein sehr guter Wert! Mein Fazit: Das Neun-Euro-Ticket ist die weitaus bessere Idee als der Tankrabatt. Das Ticket entlastet die Menschen finanziell, die bei ihrer Mobilität entlastet werden wollen. Um neue Fahrgäste zu gewinnen, die dafür ihr Auto häufiger stehen lassen, ist der Preis nicht der herausragende Aspekt. Der ÖV muss vor allem einfach nutzbar werden (bleiben) und qualitativ verbessert werden (Taktangebot, Mobilitätsgarantie in ländlichen Räumen, Anschlüsse müssen funktionieren).

Zu Ihren weiteren Fragen: Die Deutsche Bahn ist eines der Eisenbahnverkehrsunternehmen, aber nicht das einzige. Es wurde mit der gesamten Branche (inkl. Verbänden) und den Aufgabenträgern (Ländern) kommuniziert, inwieweit Kapazitäten in den Fahrzeugen knapp werden könnten und wo Aufstockungen sinnvoll und möglich sind. Für die Bestellung des Nahverkehr ist jedoch nicht der Bund, sondern sind die Länder zuständig. Diese waren dabei vom Bund finanziell unterstützt.

Ich hoffe, Ihre Fragen ausgiebig beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Matthias Gastel, MdB

 

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