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Matthias Gastel
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Frage von Jörg K. •

Frage an Matthias Gastel von Jörg K. bezüglich Soziale Sicherung

Guten Tag Herr Gastel,

mich, und nicht nur mich, interessiert die Frage: In wie weit sind die Grünen bereit sich von der Agenda 2010 zu distanzieren? Wie bekannt ist, hat sie u.a. dazu geführt, dass die Löhne seit vielen Jahren sinken, sie hat dazu geführt, dass die gesetzliche Rente(nachdem sie schon Jahrelang gekürzt wurde) nun nochmals abgesenkt wurde. Die Agenda 2010 hat auch die unglückseligen Hartz IV Gesetze herbeigeführt, die vor allem eines sind: Bürokratiemonster und Bevormundung der Empfänger. Ist es nicht auch notwendig, das Personal in den so genannten Jobcenter besser zu schulen, sowohl was die fachliche Qualifikation betrifft, aber auch das psychologische, also der Umgang mit den Antragstellern.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Köhler,

vielen Dank für die Anfrage, die ich gerne beantworte.

Ich sehe keine Notwendigkeit dafür, dass sich die Grünen von der Agenda 2010 distanzieren müssten. Denn längst nicht jede Kritik an dem Reformpaket, mit dem auf die damalige Massenarbeitslosigkeit und wirtschaftliche Stagnation reagiert wurde, ist begründet. Man hätte zwingend einen Mindestlohn einführen müssen, um Lohndumping zu vermeiden. Ich erinnere jedoch daran, dass es auch Teile der Gewerkschaften waren, gegen die ein solcher damals nicht durchsetzbar war. Heute gibt es eine breite gesellschaftliche und parlamentarische Mehrheit für einen Mindestlohn und den Fehler von damals müssen wir nun schnellstens korrigieren. Bei der Zeitarbeit gingen Flexibilisierungsregelungen teilweise zu weit. Einige davon wurden bereits korrigiert (Branchenmindestlohn, Drehtüreffekt, Branchentarifzuschläge). Mit den Minijobs wurden (und werden!) Löhne gedrückt, Fachkräfte in Hilfsjobs gedrängt und Altersarmut produziert. Hier besteht politischer Handlungsbedarf, wie auch bei den Werkverträgen (die allerdings nichts mit der Agenda zu tun haben). Viele Aussagen über die Agenda 2010 sind aber Mythen. So die immer wieder zu hörende Behauptung, der Staat würde damit Geld sparen. Das Gegenteil ist der Fall, die Sozialtransfers wurden sogar erhöht. Bereits im ersten Jahr der Einführung von „Hartz IV“ gab der Staat 4,2 Milliarden Euro mehr aus als im Jahr zuvor für die Vorgängerleistungen Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und das Prinzip des Förderns und Forderns halte ich im Grundsatz nach wie vor für richtig. Gleichwohl - und hier gebe ich dem Fragesteller Recht - funktioniert die Arbeitsverwaltung noch immer nicht in der gewünschten Weise. Die Personalfluktuation in den Jobcentern ist zu hoch, das Personal teilweise nicht ausreichend geschult und viele Abläufe sind zu bürokratisch. Der Regelsatz ist zu niedrig und das Schonvermögen für die Altersvorsorge zu wenig geschützt. Noch wichtiger aber ist, dass ein sozialer Arbeitsmarkt aufgebaut wird und Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert wird, um Menschen in Langzeitarbeitslosen eine Perspektive zu geben.
Die Agenda muss also nicht revidiert werden. Sondern ihre Gerechtigkeitsdefizite und funktionalen Schwächen müssen behoben werden.

Mit freundlichen Grüßen

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