Frage an Martina Bunge von Lothar G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Bunge,
durch meine Anfrage vom 26.01.2013 und Ihre Antwort vom 25.04.2013 sind wir zu einer sehr interessanten Stelle des Rentenproblems gekommen. Sie sagen, es ist vollkommen klar, mit dem §256a (3a) sind die westberliner Eisenbahner gemeint, die in Westberlin gelebt und „gleichzeitig“ für eine DDR-Firma gearbeitet und Beiträge zur DDR-Rente gezahlt haben. Recht haben Sie, aber Sie brauchen dazu das Wort „gleichzeitig“, das im Gesetzestext nicht vorkommt. Übersiedler aus der DDR haben auch vor dem 1. Juli 1990 im Westen gewohnt und auch Beiträge in der DDR gezahlt. Das Wort „gleichzeitig“ hat also eine enorme Bedeutung, es kommt nur im Gesetzestext nicht vor. Der Gesetzgeber wird sich etwas dabei gedacht haben. Und wenn er sich nichts dabei gedacht hat, dann handelt es sich um eine ganz triviale Gesetzeslücke, die ausgenutzt werden kann, solange sie besteht. Wir müssen uns auf den wörtlichen Text von Gesetzen verlassen können. Das Thema meiner Anfrage an Sie war nicht „Soziales“, sondern „Demokratie und Bürgerrechte“.
In Ihren weiteren Ausführungen gehen Sie davon aus, dass alle das Gesetz zu unserer Enteignung kennen. Ich kenne das Gesetz nicht, was auch an meiner Begriffsstutzigkeit liegen kann. Aber Sie finden in der gesamten sozialrechtlichen Literatur seit 1990 nichts, das ein Gesetz dieser Wirkung beschreibt. Können Sie sich ein „Gesetz“ vorstellen, das 300000 Menschen enteignet, das Grundgesetz verletzt und das keiner kennt?
Es gilt der gesetzesnormative Staatsvertrag vom 18.05.1990, der für die Bürger der DDR eine neue Eingliederung in das bundesdeutsche Rentensystem vorschreibt. Die bereits im Westen lebenden sind nicht betroffen, die sind eingegliedert. Lesen Sie Artikel 20 (7), klarer geht es nicht.
Wie soll der von Ihnen favorisierte gesetzliche Weg aussehen?Sollten wir nicht besser die bestehenden Gesetze einhalten und nachforschen, wer diese so brutal verletzt hat?
Danke für Ihre Mühe!
Mit freundlichen Grüßen
Lothar Gebauer
Sehr geehrter Herr Gebauer,
vielen Dank für Ihre erneute Frage. Auch und gerade wenn es um die Beseitigung einer Ungerechtigkeit geht, ist den Tatsachen ins Auge blicken. Und dazu gehört leider, dass der Bezug auf den §256a (3a), der für die Westberliner Eisenbahner gilt, m. E nicht gegeben ist. Da ich keine Juristin bin, habe ich eine solche zu Rate gezogen. Sie hat mir bestätigt, dass das "und" in Gesetzestexten eine Parallelität zweier Sachverhalte (man kann auch sagen eine Gleichzeitigkeit) beschreibt.
Im Internet gibt es den Beck´schen Online-Kommentar. Er enthält auch Kommentierungen zum SGB VI und speziell auch zum §256a:
http://beck-online.beck.de
Dort heißt es u. a.: "Für Zeiten vor dem 1.7.1990 regelt Abs 3a die Ermittlung von Entgeltpunkten für Versicherte, die Beiträge zur Sozialversicherung der DDR zahlten und gleichzeitig ihren Wohnsitz im alten Bundesgebiet hatten (Rn 10)."
Sie sehen, hier taucht das Wörtchen gleichzeitig eigens auf, um den Sachverhalt zu beschreiben.
Mir scheint, dass aus diesem Paragrafen - so wünschenswert es wäre - keine Gesetzeslücke abzuleiten ist, und ich sehe daher eine Lösung nach wie vor nur in einer gesetzlichen Neuregelung, die Vertrauensschutz auch für nach 1936 geborene einstige DDR-Flüchtlinge bietet.
Sie fragen nach denjenigen, die das Dilemma um die Renten der Flüchtlinge zu verantworten haben. Da kann ich nur darauf verweisen, dass Anfang der 90er Jahre eine Koalition von Union und FDP unter Helmut Kohl das Land regiert hat.
Ich möchte Ihnen nochmals versichern, dass meine Fraktion, Die Linke, sich im Bundestag für eine schnelle Lösung zugunsten der Betroffenen einsetzt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Martina Bunge